Die von Haussmann besprochenen Filme tragen Titel wie Fear of Masturbation (Ungarn, 1982), Die Fickerwochen (Portugal, 1992) oder Cute Guy Fucking Not-His-Sister (USA, 2015). Wiewohl diese Titel das nicht erwarten lassen, beschreibt Haussmann in seiner Kolumne – so er überhaupt beim Thema (= dem Sexfilm) bleibt – die Filme als mehr oder weniger sinnhaltige Allegorien. Einer Prostituierten, die mit niemandem schläft, aber wunderbar zuhören kann, wächst an der Stelle der Scheide ein Ohr. Ein gänzlich exotisch wirkender DDR-Porno entpuppt sich als kapitalistischer PR-Gag. Eine masturbierende Polin erhält mitten in einem Online-Pornofilm den Anruf, dass ihre Mutter gestorben ist: „Das Telefonat dauert […] lange qualvolle Minuten. Kein Schnitt, kein Fade out erbarmt sich und beendet die erkaltete Szenerie.“ (21)
Die Allegorisierung der Sexfilme ist aber kein das Ausgangsmaterial transzendierender Kunstgriff Haussmanns. Wären die Filme, was sie versprechen, nämlich hirnlose Befriedigung, würde er sie auch nicht als Philosophiervorlage verwenden. Vielmehr ist es das die Filme definierende enttäuschende Moment, das die Haussmann‘sche Assoziationsmaschine antreibt. Die Lust am Abschweifen ersetzt – oder sublimiert – die nicht befriedigte Lusterwartung des Ausschweifens. Die Digression ins Biographische tritt an die Stelle der Unlust erzeugenden Filmdeskriptionen und wird zum roten, Lust versprechenden narrativen Faden.
Der in der Zusammenschau der Biographiepartikel erkennbar werdende Bruno Maria Haussmann ist nun ein ins skurrile Extrem gesteigerter österreichischer Houellebecq, ein zynisch mit anderen Menschen spielender, selbstverliebter, sich letzten Endes ausschließlich um sich selbst drehender Sexmaniac, der (nicht nur) Literatur einzig zum Zwecke der Selbstbereicherung betreibt. Gedanken über die Ausbeutungspraktiken der Sexindustrie sind ihm ebenso fremd wie Mitleid mit jenen, die durch sein Handeln in den Abgrund gestoßen werden. In seinem rein auf Kosten-Nutzen-Kalkulationen basierenden Hedonismus ist er, wie zu befürchten ist, exemplarisch für die post-intellektuellen Digital Neoliberals des 21. Jahrhunderts: „Ich hatte mit Philosophie längst abgeschlossen – warum sollte ich mich in Büchern über den deutschen Idealismus vertiefen, wenn ich mir im Internet anschauen konnte, wie es ein weiblicher CEO mit ihrer persönlichen Assistentin auf einem Macbook trieb?“ (55)
Haussmanns politisch inkorrekter Witz ist so überzeichnet, dass sich in ihm die wahre (männliche) Triebmotivik (und -motorik) beständig selbst entlarvt. Explizit infrage gestellt – zum Beispiel durch eine andere Figur – wird seine Perspektive aber an keiner Stelle im Buch. Und so fragt man sich bisweilen doch, auf wessen Kosten man hier eigentlich lacht. Aber vielleicht ist ja genau das auch intendiert. Schließlich lässt Waldeck im Laufe des Romans keinen Zweifel daran, dass er selbst am besten über die Doppelbödigkeiten seines Buches Bescheid weiß. Das gilt im Übrigen auch für das Spiel mit den Mechanismen des Buchmarktes. Nicht umsonst lässt er Haussmann über seinen großen Bestseller „Die Gelungenheit“ sagen: „Von den 470 Seiten sind gute 350 explizite Sexbeschreibungen. Das Buch verkaufte sich 700.000 Mal und wurde in zwei Sprachen verfilmt.“ (53) Letzten Endes entzieht sich nämlich, wie Waldeck genau weiß, auch eine „Sex sells“-Persiflage nicht dem „Sex sells“-Prinzip.