#Roman

Die allerletzte Kaiserin

Irene Diwiak

// Rezension von Karin S. Wozonig

Fact oder fiction, historische Verschwörung oder augenzwinkerndes Geflunker? Wen kümmert das, wenn es um eine Kaiserurenkelin geht? Irene Diwiak hat einen unterhaltsamen Roman über eine alte Frau geschrieben, die mit den alternativen Fakten ihrer Biografie einer Wirtstochter kreatives Leben einhaucht.

Im Roman Die allerletzte Kaiserin von Irene Diwiak kommen zwei Ich-Erzählerinnen zu Wort: einerseits Johanna, angeblich die Enkelin von Kronprinz Rudolf, und andererseits die Wirtstochter Claudia, die sich im Dorfgasthaus ihres Vaters Johannas Lebensgeschichte anhört, mit dem Handy aufnimmt und nächtens abtippt, um daraus ein Buch zu machen.
Claudia ist der nicht sehr gebildete und etwas unbeholfene Sidekick zur Kaiserurenkelin, der in der Romankonstruktion die Gelegenheit zu ausführlichen Erläuterungen über das Ende der Habsburger Monarchie und die österreichische Zeitgeschichte bietet und das Recherchieren auf Wikipedia übernimmt, das bei anderen historisch grundierten Romanen der Leserin überlassen wird. Die historischen Daten und Fakten werden von Diwiak geschickt mit der Lebensgeschichte ihrer illustren Protagonistin Johanna Fialla, zum Zeitpunkt der Erzählung beinahe hundert Jahre alt, zum bunten Teppich verwoben.

Zu ihrer Protagonistin wurde Diwiak, so erfahren wir im Nachwort, durch eine Ö1-Sendung über eine real existierende Person inspiriert. Diese gehörte zu jenen Menschen, die davon überzeugt sind, ‚eigentlich‘ adeliger Abstammung und nur durch einen unglücklichen Zufall in ihrem schlichten bürgerlichen Leben gelandet zu sein. Für sie gilt, was Frau Fialla ihrer Zuhörerin Claudia am Ende mit auf den Weg gibt: Kaiserin ist, wer selbst daran glaubt. Bis der Roman zu dieser Erkenntnis vordringt, erzählt Frau Fialla ihre Lebensgeschichte jedoch als Tatsachenbericht, der von Claudia mitunter angezweifelt und gegengecheckt wird, aber als solcher gedruckt werden soll. Claudias Freundin Dani arbeitet nämlich in einem Wiener Verlag für Biografien von Prominenten, die „Zwischenworte“, in denen Claudia den Rahmen der Gespräche mit Frau Fialla, ihre eigene Lage, ihre Telefonate mit Dani und ihren Besuch im Verlag beschreibt, unterbrechen den chronologischen Erzählstrang der Kaiserurenkelin. Dani erklärt Claudia, dass sich die Habsburger sehr gut verkaufen und das Buch vor Weihnachten erscheinen müsse, „weil die Menschen zwischen Weihnachten und Silvester immer so ein bisschen monarchistisch gestimmt wären, wegen der vielen Kostümschinken im Fernsehen“ (S. 133). Daraus wird nichts, denn die Kaiserurenkelin ist nicht echt. Aber in Claudia schlummert ein schriftstellerischer Trieb, gar ein Talent, und so wird aus der Lebensgeschichte der Frau Fialla eben ein Roman – der vorliegende – mit Zwischenbemerkungen der Autorin Claudia Hendl, die unangenehme Erinnerungen an Schulaufsätze, dafür aber einen Ratgeber mit dem Titel Kreatives Schreiben leichtgemacht und wie ihre Schöpferin Diwiak zudem ein Gespür für witzige Formulierungen hat.

Die fantastische Lebensgeschichte der Frau Fialla

Das Leben der Frau Fialla war ein wechselvolles. Sie wurde 1918 mütterlicherseits in die Industriellenfamilie Schleyermann hineingeboren und war drei Mal mit Männern verheiratet, die ihr auf die eine oder andere Art nicht guttaten. Als sie ihren Vater, einen Kurzwarenhändler, von dem sich ihre Mutter skandalöserweise nach kurzer Zeit scheiden lässt, nach seinen Eltern befragt, gibt der zögerlich Auskunft. Johanna fragt aber nicht nach, denn neugierige Mädchen, so hat sie es gelernt, bekommen keinen Mann. „Hätte ich bloß gewusst, was mir alles erspart geblieben wäre ohne Ehemänner, dann hätte ich allen Menschen pausenlos Löcher in die Bäuche gefragt!“ (S. 54)

Mit der „ganzen Wahrheit“, nämlich dass er der geheime Sohn von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera ist, rückt der Vater nie heraus, die – vermeintliche – Tatsache erschließt sich Johanna erst langsam aus Indizien und durch ihren zweiten Mann. Nach dem Tod ihres Vaters erhält sie ein Holzkästchen mit Orden und Schmuck aus k.u.k-Zeiten, das durch den Roman getragen wird, ohne dass sich der materielle Wert des Sammelsuriums je erschließt. Wie das Jagdfoto von Kaiser Franz Joseph in der Gaststube des Wirtshauses, in dem Frau Fialla ihre Geschichte erzählt, steht der Inhalt des Kästchens symbolisch für untergegangene Pracht und verlorene Bedeutung.

Kaiserin ist, wer daran glaubt

Johannas erster Ehemann, der schöne Freddy, vermeint mit ihr die Erbin einer Autofabrik zu heiraten und wird enttäuscht, denn Johannas Mutter Katharina war in Schande aus der Familie verbannt und in die Schweiz geschickt worden, Erbe der Fabrik wird Johannas „dämlicher Cousin“ Otto. Dann begegnet Johanna dem Kriegsinvaliden Anton, Sammler von gedruckten Materialien aller Art über das Kaiserhaus. Er ist der „Hüter der Wahrheit“ über den in Mayerling vorgetäuschten Tod von Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera. Angeblich hatte Rudolfs Kutscher Antons Vater ins Vertrauen gezogen und auf diesem Zeugnis baut Anton nun aus eigenem eskapistischen Bedürfnis Johannas Herkunftsgeschichte auf.
Der in der Mitte des Romans eingeschobene Bericht von Antons Vater enthält eine komplizierte Verschwörung, die dem Kronprinzen mit seiner Geliebten und dem gemeinsamen Sohn ein unbehelligtes Leben ermöglicht haben soll. Als Anton ihr unumstößlich darlegt, dass ihr Vater der Sohn Rudolfs gewesen sei, beginnt für Johanna das richtige Leben. Keine Frage, dass sie sich von Freddy scheiden lassen und Anton heiraten muss, denn: „Warum sollte ich auch weiterhin für einen schlechtgelaunten Geck die Hausfrau spielen, wenn ich für diesen schmächtigen Kerl doch die Kaiserin war!“ (S. 191)

Doch Anton entpuppt sich als kleingläubig und manipulativ, Johanna verlässt ihn und führt mit ihrer Mutter, die mittlerweile aus der Schweiz zurückgekehrt ist, ein Hotel in Tirol. Johannas dritter Mann ist ein Heiratsschwindler, der ihr Geld verprasst, sie kehrt nach Wien zurück und arbeitet als Putzfrau. Schließlich gibt sie in ihrer kleinen Wohnung Audienzen gegen Eintrittsgeld, das sie für karitative Zwecke verwendet – Adel verpflichtet schließlich. Wie Johanna in das Dorfgasthaus kommt und sich ein Kreis schließt, ist ein weiterer der kecken Einfälle, von denen dieser Roman lebt. Wenn auch die Perspektiven und Stimmen der beiden Protagonistinnen so manchen störenden Bruch aufweisen und sich die Handlung in der einen oder anderen Belanglosigkeit verliert, ist dieses Buch doch eine unterhaltsame Lektüre mit geschichtlichem Mehrwert und ein weiterer Ausweis für Irene Diwiaks Lust zu fabulieren.

 

Karin S. Wozonig, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Anglistik/Amerikanistik und Germanistik an der Universität Wien und UCLA (USA). Publikationen zur deutschsprachigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts und zur Chaostheorie. Zuletzt veröffentlichte Karin S. Wozonig in der Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz Ratten. Ein Porträt (2024). www.karin-schreibt.org

Irene Diwiak Die allerletzte Kaiserin
Roman.
München: C. Bertelsmann Verlag, 2024.
304 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag.
ISBN 978-3-570-10469-9.

Verlagsseite mit Informationen zu Buch und Autorin sowie einer Leseprobe

Homepage von Irene Diwiak

Rezension vom 17.07.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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