#Sachbuch

Die bunte Welt

Friedrich C. Heller

// Rezension von Ulrike Diethardt

Der Kinderbuchsammler und Erforscher der Kinderliteratur, Friedrich C. Heller, hat nun die Ergebnisse jahrelanger Recherchen in Archiven und Kinderbuchsammlungen in einem voluminösen bibliografischen Handbuch vorgelegt, das an Kulturgeschichte interessierten Lesern eine aufschlussreiche und spannende Lektüre bietet.

Auf den ersten 100 Seiten bietet Heller einen fundierten Abriss zur Geschichte, vor allem aber zur sozialen, künstlerischen und buchhistorischen Einordnung des illustrierten Kinderbuchs. Die große Zahl der abgebildeten Cover und Illustrationsbeispiele – Raritäten und Klassiker – verdeutlichen die hohe Qualität österreichischer Buchkunst.

Ende des 19. Jahrhunderts wurden viele gesellschaftliche Bereiche von reformerischen Gedanken und ästhetischen Aufbruchskonzepten erfasst, die Kunsterziehungsbewegung und die Jugendschriftenbewegung wirkten sich auch auf die Buchkunst aus. Der bewusste Umgang mit Ästhetik gehörte untrennbar zu den Ideen der Erziehung eines neuen Menschentums und bildete einen Gegenpol zur aufkommenden maschinellen Massenproduktion von Alltags- und Kunstgewerbegegenständen. Künstler der Stilkunst, Vertreter der Wiener Werkstätte oder des Hagenbundes begannen, sich mit der Gestaltung von Kinderbüchern auseinanderzusetzen und griffen die vor allem aus England und Frankreich kommenden Anregungen kreativ auf.

Die Beiträge Koloman Mosers, Heinrich Leflers „Andersen-Mappe“ und Alexander Pocks „Bilderbuch für die Jugend“ stehen am Beginn der modernen Buchkunst für Kinder in Österreich.
Von offizieller wie von kirchlicher Seite gab es durchaus Widerstand gegen die neuen Ideologien rund um das Jugendbuch, aber es gab auch Initiativen in Richtung einer Kooperation: bereits 1898 erhielt Kolo Moser den Auftrag, eine seit 1879 verwendete Schulfibel neu zu illustrieren. Entstanden sind viele der künstlerisch gestalteten Kinderbücher im Umfeld der Kunstgewerbeschule mit Lehrern wie Kolo Moser, Bertold Löffler oder dem Schriftkünstler Rudolf von Larisch, der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und der privaten Kunstschule für Frauen und Mädchen – Fanny Zakucka oder Adele Bettelheim, die im Sinne der Jugendschriftenbewegung mit klaren, künstlerisch einfachen Bildern zur Geschmacksbildung der jugendlichen Leser beitragen wollten.
Die Kunsterziehungsbewegung und pädagogische Reformbewegung ist in Wien untrennbar mit Franz Cizek verbunden, die Ergebnisse seiner auch international anerkannten „Jugendkunstklasse“ wurden in den künstlerisch-methodischen und ästhetischen Diskurs einbezogen.

„Gerlachs Jugendbücherei“, eine Jugendschriftenreihe, wurde neben „Konegens Kinderbüchern“ zur bedeutendsten Verlagsinitiative im Dienste der modernen Buchkunst.
Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt das bildkünstlerische Kinderbuch durch die Reformpädagogik wiederum einen neuen Aufschwung und, vor allem im Schulbuchbereich, neue Impulse. 1921 wurde der Deutsche Verlag für Jugend und Volk gegründet, 1923 der Sesam Verlag von Helene Scheu-Riesz, für den sie die Mitarbeit von Franz Cizek erwirken konnte. Mit der Weltwirtschaftskrise begann die Produktion allmählich abzuflauen, und nach 1934 ging der ästhetische Anspruch des Neuen prinzipiell verloren.

Im Hauptteil des Buches kommentiert Heller auf gut 250 zweispaltig bedruckten Seiten an die 1300 Titel. In diese unglaubliche Materialfülle bezieht Heller auch alle ihm bekannt gewordenen privaten Künstlerbücher mit ein – hier gibt es also viel kurioses und überraschendes zu entdecken. Nicht zuletzt die Register und Lexika – Autoren, Illustratoren, Verleger, Drucker und Titel – machen „Die bunte Welt“ zu einem unersetzbaren Nachschlagewerk.

Friedrich C. Heller Die bunte Welt
Handbuch zum künstlerisch illustrierten Kinderbuch in Wien 1890 -1938.
Wien: Brandstätter, 2008.
432 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-85033-092-3.

Rezension vom 26.05.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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