#Prosa

Die elf Gebote

Norbert Silberbauer

// Rezension von Sabine E. Selzer

Durchweg schwarzer Humor zieht sich durch Nobert Silberbauers Geschichten, die sich um die zehn Gebote ranken – und um ein elftes. Es wird gelogen und betrogen, gemordet und gestohlen, es geht also recht ähnlich zu wie im Alten Testament. Oder wie eben in so ziemlich jeder Gesellschaft.

Wir begegnen einem im mehrfachen Sinne des Wortes überwuzelten „Burli“, das es auch in fortgeschrittenem Alter nicht schafft, von seiner Mutter und der Macht ihrer Küche loszukommen, bis zum bitteren Ende. Ja, übrigens: auch Vater und Mutter werden nicht geehrt in diesen Texten. Wir stoßen auf Ludwig, den Sprachpuristen, dem das Leben zur Qual wird, weil er, ständig mit grammatikalischen oder semantischen Fehlern seiner Umwelt konfrontiert, seine eigenen, eher psychisch bedingten, übersieht und damit genau das Ziel verfehlt, das ihm scheinbar so am Herzen liegt: kommunikative Kompetenz.

Und da wäre noch der Mesner, der sich nach seinem Tod von Gott verraten und verlassen fühlt und nun seiner Kritik an Kirche und Religion im Allgemeinen und seinem Hass auf die Sonntage im Besonderen freien Lauf lässt. Ja, ja, du sollst den Feiertag heiligen. Und natürlich: wenn die geliebte Katze eines Morgens nicht nach Hause kommt, gemeuchelt von jenen, die es berufsmäßig tun, dann muss das verzweifelte Frauchen schon Rache nehmen; und macht nun Jagd auf die Jäger.

Auf der Hochzeit der schwangeren Religionslehrerin Maria erinnert sich einer der Gäste schwermütig an seine eigene Beziehung mit der Braut zurück, getragen von einer Erotik, die vor allem von Entsagen bestimmt war, eine Beziehung, die ihn zunächst impotent macht für weitere. Wir lesen von einem verzweifelten Autor auf der Frankfurter Buchmesse, der unbeachtet bleibt bis zu einem peinlichen Skandal, der ihn zum gefeierten Helden seiner Träume macht.

Und dann der Tratsch und Klatsch im Dorf, von dem der eine oder andere schon was Neues über sich erfahren kann, und wo das eine oder andere Gerücht sich als self fulfilling prophecy erweist. Nicht alle Totgesagten leben länger. Wir begleiten den kuriosen Werdegang eines Literaturkritikers durch viele Frauenbetten und erkennen Literatur als Potenzmittel. Und wir geraten in den alkoholgetränkten Sumpf einer Provinzwerkstatt, wo auch dicke Rauchschwaden die Leichen im Keller der Vergangenheit nicht zur Gänze verbergen können. Neid kann manchmal tragisch sein.

Alle Geschichten bauen auf einem der Gebote auf, verletzen es oder führen es ad absurdum, indem sie es mehr als wörtlich nehmen, bestätigen es, indem seine Mißachtung ins Verderben oder stellen es in Frage, indem seine Beachtung zu gar nichts führt. Die Erzählungen sind in sich geschlossen, aber doch miteinander verbunden, durch immer wiederkehrende Motive wie Einsamkeit, sexuelle Probleme oder Kampf um Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, durch Schauplätze, einzelne Figuren und nicht zuletzt durch die Gebote selbst, dem roten Faden, an dem sie aufgefädelt sind wie die Perlen eines Rosenkranzes.

Norbert Silberbauer Die elf Gebote.
Wien, Frankfurt: Deuticke, 2002.
240 Seiten, gebunden.
ISBN 3-216-30655-0.

Rezension vom 29.10.2002

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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