#Theater

Die Fahrt im Einbaum

Peter Handke

// Rezension von Klaus Kastberger

oder Das Stück zum Film vom Krieg.

Es ist recht schwierig, über dieses Buch zu sprechen, war es doch als literarischer Text von Beginn an von medialen Tumulten verdeckt. Cover-Events wie diese halten freilich nicht lange vor, und so ergeht es Der Fahrt im Einbaum wie der Tageszeitung von gestern: schon heute scheint sie hoffnungslos inaktuell. Die Töne der gewesenen Debatte (wenn es denn eine Debatte war und nicht nur ein gegenseitiges Hindreschen) klingen aber doch noch im Ohr, und mit ihnen ist auch ein gewisses Unbehagen geblieben, wurde hier doch ein Autor als „ideologisches Monster“ (Alain Finkielkraut), als „undichter Dichter“ (Format) oder als „Kleinhäusler“ (der Literaturverantwortliche des „forum stadtpark“) bezeichnet und das Stück selbst als kaum etwas anderes als ein moralischer und politischer Skandal empfunden.

Daß die Wiener Kritiker ihre Kritiken schon vor der Premiere verfassen, war in der Ära Peymann keine Seltenheit, nur fiel es diesmal auch den ausländischen Beobachtern nicht mehr auf. Der Skandal fand nicht auf der Bühne, sondern in den Schreibstuben statt. Irgend jemand wollte (rein informell) in dem Stück dann doch noch eine Leugnung der Vernichtungslager von Srebrenica erkannt haben – ganz ohne Text (der in diesem Fall ein wirklich erfundener war) kommt eben nicht einmal der Wiener Skandal aus.

Srebrenica wurde von Handke also durchaus nicht geleugnet; was aber stimmt: Der Mann geht mit seinen Kritikern nicht gerade zärtlich um. So garstig wie es kolportiert wird, benimmt er sich dann aber doch nicht: Nicht die Leichen (wie „Format“ und „Spiegel“ berichtet hatten) sollte sich der Zwischenfrager bei der seinerzeitigen Burgtheaterlesung „in den Arsch schieben“, sondern nur seine „Betroffenheit“; vom „Arsch“ aber war tatsächlich die Rede.

Grobheiten wie diese sind in dem Stück eher spärlich gesetzt; die ideologischen Konflikte sind hier (und zwar gleich in zweifacher Brechung) ins Ästhetische übersetzt. Der Weg zur Bühne führt im „Stück zum Film vom Krieg“ über das Kino: Zwei ausländische Regisseure (der Amerikaner John O’Hara und der Spanier Luis Machado) lassen sich zehn Jahre nach dem Krieg in der Halle eines Provinzhotels namens „Acapulco“ Szenen eines projektierten Films vorspielen. Wirkliche Menschen agieren in ihren wirklichen Rollen, nur scheint das Spiel durch die poetisierte Sprache der Leute und die teilweise recht groteske Bühnensituation sogleich stark stilisiert.

An der ideologischen Rollenverteilung ändert dies vorderhand nichts. Da sind zunächst die Einheimischen (Nachbarn, ein Chronist, ein Waldläufer, ein Irrer etc.), die ihre Version der Geschichte, nämlich die eines schon Jahrzehnte schwelenden Nationalitätenkonflikts, erzählen. Und da sind die dem Land aufgepropften Fremden, drei „Bergradfahrer“ vor allem, die der internationalen Besatzungsmacht entstammen und mit dem sogenannten „Griechen“ im Gespräch liegen. Letzterer stellt ein Alter ego Handkes dar: Als Journalist wollte der Mann einstens nicht mehr im Medienkrieg mitspielen, er wurde daraufhin brutal ausgegrenzt, verlor seine Stellung und versteht sich heute als letzter Verteidiger des Landes. Dem sonoren „Geschwätz“ seiner ehemaligen Berufskollegen setzt er das Prinzip des „Formbewahrens“ entgegen.

Hoffnung erwächst der hoffnungslosen Situation nicht von Staatsmännern und Journalisten, sondern aus einem überirdischen Bereich. Gegen Ende des Stücks taucht aus dem tiefen Wald die „Fellfrau“ auf und packt die ganze Gesellschaft kurzerhand in ihren Einbaum, was eine einigermaßen seltsame Szene darstellt, bietet der Stamm doch maximal für zwei Leute Platz. Durch Schieben, Zerren und Umschichten der Fahrgäste kommt das Gefährt dann aber doch noch wackelig in Gang; von oben senkt sich eine „lustig“ anzuschauende Riesenapparatur mit den Wimpeln „sämtlicher möglicher Staatengemeinschaften“ herab. Nur die beiden Filmregisseure bleiben übrig; sie beschließen, den Film nun doch nicht zu drehen.

Das Ende im Einbaum ist nicht nur der beste Teil von Handkes Stück, es ist überhaupt das Beste, was Handke in den letzten Jahren geschrieben hat. Daß er in Jugoslawien nur die Dinge und nicht die Menschen zu sehen in der Lage ist, wurde dem Autor zu Recht vorgeworfen. Die Programmatik dieser inhumanen Beschreibungsästhetik fand sich erstmals in der „Niemandsbucht“: Nach dem reinigenden Bürgerkrieg (der in dem Roman in ganz Mitteleuropa tobt) sollten die „Äpfel in deutschen Landen“ wieder als das wahrgenommen werden können, was sie sind, nämlich als nichts anderes als eben „Äpfel in deutschen Landen“. In den Serbien-Essays hat Handke dieses Programm zum zynischen Gipfel geführt, hier wurde das Land wirklich so beschrieben, als ob es in ihm keine Geschichte, keine Verbrechen, keine Greuel und keine Massengräber geben würde. Reste dieser ahistorischen Ding-Ästhetik finden sich auch im neuen Stück. Der „Waldläufer“ setzt dort zu einer Emphase auf die Himbeere an: Von allen Überraschungen sei nach dem Krieg die stärkste gewesen, um was für ein wunderbares Gebilde es sich dabei handle.

Am Ende des Stückes bezieht Handke dann aber doch die Menschen mit ein. Die gemeinsame Fahrt im Einbaum ist ein unmögliches Ende, im Politischen sowieso und beinahe auch im Ästhetischen; zumindest wird an die Bühnentechnik an dieser Stelle eine gewisse Anforderung gestellt.

Weil es ein unmögliches Bild ist, ist das Bild vom Einbaum aber auch ein utopisches und in diesem Fall auch ein wirklich emanzipatorisches. Von diesem Bild stimmt dann auch, was Handke von seinem Schreiben behauptet: daß der Journalismus dagegen nicht den Funken einer Chance besitzt, wie auch er umgekehrt nicht den Funken einer Chance gegen den Journalismus hat. Im Einbaum drückt sich diese Autonomie mustergültig aus; hier ist der literarische Eigensinn des Peter Handke zu neuem Leben erwacht.

Peter Handke Die Fahrt im Einbaum
Stück.
Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1999.
127 S.; brosch.
ISBN 3-518-41029-6.

Rezension vom 02.08.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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