Elke Steiners Roman Die Frau im Atelier ist nicht nur ein Roman über Ängste, sondern auch über das Schaffen und das Gestalten. Das Schaffen von Bildern aus angerührten Farben, das Gestalten von Lebenswirklichkeiten durch Interpretationen, durch das Anlegen von Filtern, die gewisse Umstände einblenden und andere aus. Damit umzugehen muss man lernen. Aber das ist nicht immer auszuhalten. Wenn es gar nicht mehr geht, lässt Marius alles im Gin verschwimmen. Bis er dann doch wieder an die Arbeit geht.
Immer wieder dieselbe Frau mit dunkelgoldenen Haaren malt Marius in seinem versifften Atelier. Versteckt sich dort und in seinen Bildern und malt sie unter Schmerzen und in schmerzvoller Erinnerung. Versteckt sich unter einer Mütze, die er nie abnimmt, weil dann der verwachsene Knorpel zum Vorschein käme, der dort sitzt, wo andere ein Ohr haben. Der Knorpel, der bisher noch jede Frau, die zunächst der Anziehungskraft seiner blauen Augen erlegen ist, früher oder später in die Flucht geschlagen hat. Der Knorpel, der alles bündelt, was Marius an sich abstoßend findet. Der Knorpel, der zutiefst mit Ängsten und Schuldgefühlen aus seiner Kindheit verwachsen ist. Und dann sind da noch die vielen Wecker, die er sich stellt, um nur ja nicht zu verschlafen. Noch so eine Angst.
Weil das alles so schwer wiegt, geht Marius kaum irgendwo hin. Bewegt sich hauptsächlich zwischen seinem Atelier und dem russischen Lokal im Erdgeschoss. Dort gibt es Wanja, der ihn gut kennt, ihm seinen Espresso und seinen Gin hinstellt, und dann, wenn er es nötig hat, auch etwas zu essen. Wanja, mit dem er nicht viel reden muss und der ihm von Zeit zu Zeit eine „Cousine“ vermittelt. Für die körperlichen Bedürfnisse. Denn mit Beziehungen klappt es eben nicht. Immer und immer wieder nicht.
Mit den Bildern geht es schon besser. Wenn nicht gerade der Galerist nervt und auf einen Vertrag und eine Anzahl und eine Deadline pocht. Oder sonst etwas passiert. Alles, was an Funktionieren grenzt, an gesellschaftliche Rollen und „das Leben im Griff haben“, ist Marius‘ Sache nicht. Was nicht bedeutet, dass er nichts kann. Zu den schönsten Stellen im Roman gehören jene, in denen Elke Steiner präzise und detailreich künstlerische Techniken beschreibt, Marius in seiner Arbeit versinken lässt – seine Farben anrühren, die Vorbereitungen zelebrieren und ganz in seiner Tätigkeit aufgehen, um das im Entstehen begriffene Bild herumschleichen und alles rund um ihn vergessen, all seine Probleme und seine Ängste und seine Zacken im Bauch und den Knorpel am Kopf, damit er und eins werden kann mit seiner Arbeit. Elke Steiner malt mit Worten, wie Marius auf der Leinwand malen will. Strich für Strich wird aufgetragen, was die Figur plastisch werden lässt. Ruhig, unaufgeregt und präzise. Während Marius selbst noch nicht viel mehr getan hat als zu grundieren und zu prokrastinieren.
Aus dem statischen Bild, aus der Aufnahme eines Zustands wird aber schließlich doch die Geschichte eines Wandels. Eines Wandels, der in Gestalt einer Frau mit dunkelgolden gefärbten Haaren in Marius‘ Atelier und Leben platzt und dort alles durcheinander bringt. Genau dieses Durcheinander ist es aber, aus dem vielleicht ein Neuanfang werden kann. Manches schafft man nicht alleine. Dazu braucht es andere, die einen und alles rundherum auf und durcheinander rütteln. Und neue Bilder möglich machen. Mit viel Empathie, treffsicher und stilsicher, unaufdringlich poetisch erzählt Elke Steiner von diesen Möglichkeiten. Die einer ergreifen kann oder auch nicht.