Patter ist Lehrling in einem Haubenlokal, er will Koch werden, wie sein Vater. Patter wird gemobbt, denn in einer Küche kann es schon mal ein wenig ruppig zugehen. Das ist normal. „Aber ums Lernen kommst du nicht drumrum“, sagt der Vater. Patter ist sensibel, vielleicht zu sensibel. Sein Leben eine Folge von Demütigungen. „Elender Feigling, flüstert Patter.“ Borderliner, wird der Psychiater später sagen. Patter selbst weiß nichts davon, nur, dass er den Chefkoch erschossen hat. Jetzt ist er ein Mörder, jetzt müssen die anderen ihn wahrnehmen. Anerkennung. Ihm fehlt eigentlich nur ein wenig Anerkennung.
Juriatti lässt sich tief ein auf die Seele eines Mörders, der eigentlich ein lieber Bub ist, den die Umstände, die Zurückweisungen, die Scham zum Mörder gemacht haben. Der Autor zeichnet aber auch ein Portrait eines hartherzigen, verlogenen Alltags, ein anderes Bild des Tourismus, wo Mitarbeiter nur für die Arbeit da sind. Nichts Privates wird erlaubt. Etwa die unerwiderte Liebe zu einer Kellnerin, die sich Patter mehr ausmalt als erlebt. Alles ist eine Verschwörung. Alles.
Sprachlosigkeit. Wie schreibt man an der Grenze zur Sprachlosigkeit? Rainer Juriatti findet die idealen Worte, um sie seinen Figuren in den Mund zu legen. In einer Welt voll Sprachlosigkeit, wo Väter sich wortlos umdrehen und fortgehen, wo Mütter drohen, wo Freunde die Freundschaft kündigen, in so einer Welt kommt die Sprache abhanden. Einwort-, Zweiwort-, Dreiwortsätze bestimmen Juriattis Stil, ein atemloses Sich-Drehen und -Wenden um die entscheidenden Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Was ist Schuld? Bin ich schuldig? „Schuldig, sagt Patter.“
Erschreckend auch die Beschreibung des Gefängnisalltags, die Welt des wirklichen Verbrechens. Juriatti stellt Patter einen wirklich bösen Menschen gegenüber: Knoll, der behauptet, eine Maschine zu sein und in seinen Terminator-Fantasien untertaucht. Auch hier wieder, Schuld, Rache, Vergeltung. Eine harte Welt. Schuldig, sagt Patter.
Diese Chronik eines angekündigten Mordes erzählt Rainer Juriatti von hinten, vom Mord bis zur Verhandlung läuft die Zeit, aber die Tat selbst ist nur eine Folge früherer Ursachen. Dazwischen befragen zwei Beamte die einzelnen Mitarbeiter des Gasthauses und nach und nach ergeben die verschiedenen Stimmen ein vollständiges Puzzle, erhellen sich Motiv und Grund allen Übels. Das ist hochspannend und unterhaltend, denn Juriatti versteht es ausgezeichnet, den einzelnen Figuren einen jeweils eigenen Charakter zu geben. Man sieht sie vor sich, diese ganzen Bierbichlers und Charlys und Jurkics und Wengers. Den zwei Beamten selbst wünscht man sich einen eigenen Fall, ein eigenes Buch.
Rainer Juriatti legt den Finger auf eine Wunde, denn am Ende will keiner schuld sein, nur der Mörder ist sich klar darüber, dass Mord Mord bleibt. Die gedehnte Zeit beschreibt bedrohlich genau die Folgen von happy slapping, Mobbing und anderen Zeiterscheinungen, darin ist das Buch aktuell und engagiert zugleich. Gelungen!