Wie Updikes Pastor Wilmot quält er sich durch die sonntägliche Pfingstmesse, deren Rituale ihre Bedeutung plötzlich verloren haben. Die Zweifel lassen sich nicht ausräumen: „Ich war leergebetet.“ Erst nach und nach begreift dieser Ulrich Brenneisen, daß seine existentielle Verunsicherung mit einer Frau zu tun hat, die ihm seine religiösen Nöte erst bewußt macht. „Ein Priester und eine Frau: die Geschichte einer verbotenen Liebe“ – tatsächlich so blöd faßt es der Verlagstext auf dem Buchrücken zusammen, und eine Autorin vom Range einer Schlag hätte sich solche Schundromanprosa nicht gefallen lassen dürfen.
Ulrich hat sich also verliebt und sieht dadurch die Grundfesten seines Priesterdaseins erschüttert. Die Begegnung mit Cordula füllt nicht nur das emotionale Vakuum, das in ihm durch den plötzlichen Tod seiner geliebten Hündin entstanden ist. Mit einem Mal hat auch das spirituelle Leben, in dem er sich aufgehoben und geborgen glaubte, einen Geschmack von Schalheit. Die Magie des Wortes verfängt hier nicht mehr, Ulrich ahnt, daß er seinen Glauben neu und wortlos erfinden muß: „Ich kann nicht mehr wie ein anderer glauben.“
Evelyn Schlags größte Leistung besteht darin, daß sie in ihrem Psychogramm eben auch die Erotik des Geistes auslotet und sich nicht auf den reißerischen Aspekt beschränkt. Gerade das, was heute gemeinhin schwer nachvollziehbar ist, nämlich die Faszination einer auf Berufung und Nachfolge gegründeten Existenz im Schoße der katholischen Kirche, wird in diesem Roman sehr ernst genommen, kenntnisreich beleuchtet und empathisch begreifbar gemacht. Schlag erzählt bedächtig, dezent, ja beinahe distinguiert und überzeugend detailgenau. (Nur einmal verwirren den Leser „langweilige Blumenstreifen“ ausgerechnet im Jänner, der hier marktgängig „Januar“ heißt.) Durch die glaubwürdige Ich- Perspektive gelingt nicht bloß das vielfältige Portrait eines engagierten, gebildeten Geistlichen, seiner Kleinstadtpfarre und seiner Freunde: Hier spricht schlicht ein Mann in seinen besten Jahren, der plötzlich nicht mehr weiß, wie er leben soll. Die aktuellen Personalprobleme der österreichischen Kirche spielen dabei keine Rolle, die strittigen Themen – etwa die episkopale Bevormundung der Frau – schon.
Daß Ulrich seine Unschuld mit Cordula auf einer Wales-Reise verliert, daß er auch homoerotische Erweckungserlebnisse vorzuweisen hat, daß sein bester Freund als Schwuler den Priesterberuf an den Nagel hängt, all das erfahren wir in rückblendender Verschränkung von einem Ausgangspunkt aus, an dem das späte Sinnenglück sich schon als prekär erweist: Cordula liegt mit einer Gehirnblutung im Spital, ihr Überleben ist ungewiß, und Ulrich sammelt ratlos die Splitter der Geschichte ein. Sub specie aeternitatis agieren Schlags Figuren nicht frivol, sondern dem Ernst des Lebens angemessen – vielleicht sogar eine Spur zu kultiviert. Die „göttliche Ordnung der Begierden“ wird nur sehr behutsam angezweifelt.