Gegenstand der meist als Rollenspiel zwischen E(dlinger) und O(stermayer) abgehandelten satirischen Dialoge und „Tagebuchaufzeichnungen“ ist vor allem das Problem der staatsbürgerlichen Moral. Massiv aufs Korn genommen werden die patriotischen Primitivreflexe, die die österreichische Bundesregierung in Zusammenhang mit den „Sanktionen“ durch die EU-Staaten ihren Untertanen gerne verordnen wollte und sogar gerichtlich einzuklagen erwog. Die Koalition forderte den nationalen Schulterschluß, die Verteidigung der Heimat gegenüber dem „feindlichen“ Ausland selbst von jenen, die dessen Empörung eigentlich begrüßten. Das Recht des Staatsbürgers auf Kritik am Staat und freie Meinungsäußerung wurde mit Begriffen wie „Vernaderung“ und „Nestbeschmutzung“ als Verrat diffamiert.
Die Gutmenschenprotokolle nehmen sich dieser erstaunlichen Phase österreichischer Zeitgeschichte ohne Widerstandspathos an und bieten demokratisch gesinnten Lesern wahrscheinlich eine bitter-vergnügliche Lektüre: Sie zeigen nämlich, daß zur totalen humoristischen Übertreibung des realen Geschehens nicht mehr viel fehlt und das Nicht-Ernstnehmen andererseits die einzig angemessene Reaktion auf die absurd-reaktionären Äußerungen mancher Regierungsmitglieder oder Mitglieder von Regierungsparteien wäre – wenn diese ihr Schauspiel nicht auf dem Parkett der realen Politik betrieben.
Deftig karikaturistisch geht es jedenfalls zu „Im Sumpf“, wenn Affenfamilien aus Gibraltar zur Pflege der bilateralen Beziehungen mit Österreich anreisen oder Würdenträgerinnen (!) des Vatikans beim Heurigen den internationalen Frauentag feiern; „gesetzesgeile Bürger“ ergötzen sich an der Aussicht auf den Überwachungsstaat, hindern fremdländische Hunde an der Verschmutzung heimischer Gehsteige und singen nach einem feuchten nationalen Alptraum mit Kate Moss panisch die Bundeshymne ab; wehrhafte Bürger gründen die „Kirche des heiligen Schulterschlusses“, „Vernaderungsvernaderer“ spionieren nach linken Volksschädlingen in der Internetgeneration; Karl Kraus und Karl Marx ergreifen aus dem Jenseits Besitz von der Seele eines FPÖ-Politikers, der eine SS-Parole verwendete, ohne es angeblich zu wissen, und legen ihm regierungsfeindliche Sätze in den Mund: „Wo die Sonne der Politik niedrig steht, werfen selbst kleine Schüsseln große Schatten“ oder „Patriotismus ist Opium für das Volk“. Und als Beispiel für die „Gesetzlosen“ bekacken notorische Nestbeschmutzer absichtlich ihre Betten, um „symbolisch auf Österreich zu scheißen“.
Zwischendurch, zur Erholung vom ketzerischen Spaß, finden sich interessante und völlig ernsthafte Interviews zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Fragen mit dem marxistischen Staatswissenschaftler Joachim Hirsch, dem Autor und Publizisten Michael Rutschky, dem Literaturwissenschaftler und Postmoderne-Kritiker Terry Eagleton und dem Inszenierungskünstler Christoph Schlingensief. Mit diesen theoretischen Überlegungen erweitern die Autoren den Horizont der nationalen Selbstbespiegelung, etwa um den Hinweis, daß auch ein Rechtsruck wie der in Österreich – bei all seiner typisch österreichischen Ausprägung – mit transnationalen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen zu tun hat.