Gösta Maier bekennt im Buch offen dessen Schwächen und wartet natürlich auf Widerspruch. Zunächst widerspricht man gerne. Es wäre kein Handlungsroman, sondern ein „sagender“ (S. 362), klagt er. Das stimmt nicht. Die Hauptperson, der Clown Aldo, laviert sich höchst ereignisreich 18 Jahre lang durch sein Akrobatenleben, versucht es als Literat, Zeitungsschreiber, Ehemann, Heiratsschwindler, Handlanger der Mafia, und vor allem als Freund zahlreicher Freundinnen. Er redet sich wie ein Schweijk aus allen Klemmen heraus, erlebt Tode und Wiederauferstehungen, an spannender Handlung fehlt es nicht.
Widerspruch regt sich aber auch gegen die Klage Autors, es fehle der rote Faden. Die großen Themen sind klar durchgängig, das größte davon: die Liebe. Liebe als „Annäherung an die Seele“ (S. 67), in allen Tiefen: „im Rausch, in der Lüge, im Ernst, im Scherz, in der Phantasie und in der Trostlosigkeit“ (S. 270), Liebe ausgekostet, durchlitten, verwünscht, herbeigesehnt. Als Frauensüchtiger findet Aldo in allen nur „DIE EINE“, sie alle heißen ihm Maria. Der derart Liebende bleibt ewig jung: die Rückkehr zu seiner Jugendliebe im Alter ist so zärtlich wie die erste Liebe. Ein anderer roter Faden ist schon ein ganzes Stück vom Teppich: die Parabel vom Wartesaal, die im Roman fast eine selbständige Novelle bildet. Aldo gerät in einen surrealen Wartesaal, die Pest bricht aus, er wird in Quarantäne festgehalten, die Szene wird zum Lazarett, schließlich zum Tribunal mit Todesurteil. Der Wartesaal als beklemmende Metapher fürs Leben.
Widerspruch auch gegen den Vorwurf, der Roman sei vernunftwidrig aufgebaut. Es treten auf: Der Clown selbst, dazu „der Zweite“ als sein Über-Ich, als dritter sein Nebenbuhler bei den Belladonnen, und schließlich „der Autor“ als das Schöpfer-Ich im Quartett. Alle vier sind Aufspaltungen einer Person. Verwirrend, aber im einzelnen doch klar, bevölkern sie die Szene, es kommt zu gleitenden Übergängen, der eine kann der andere sein. So wird die Wirklichkeit eines Lebenslaufs im psychopathologischen Modell der „multiplen Personen“ (S. 5) aufgefächert. Gleiches geschieht bei den Belladonnen auf der Frauenseite. Eine glänzende Romanidee!
Verständlich ist daher auch die Auflehnung des Geschöpfs gegen seinen Schöpfer. Der Clown, vom Autor-Ich ins Buch hineingedrängt, revoltiert, will „nach draußen in die Zeit“ (S. 42), zu einer Frau eigener Wahl. Der Ausbruch gelingt ihm auf dramatische Weise durch ein Attentat auf die Geliebte, er erreicht sie nur, indem er sie zerstören will.
Soweit das „Meisterhafte“. Dem Leser aber wird unbehaglich, wenn diesen konstruktiven Absichten ständig etwas in die Quere kommt, als wäre da noch ein Fünfter im Spiel, der in die Reden dreinredet und stört. Die Gedankengänge sind oft von einem Virus infiziert, der sie auf halbem Weg gewissermaßen aufweicht. So viele der geschliffensten Passagen werden plötzlich unscharf, münden bestenfalls ins Paradox, zerfließen sonst aber ins Alberne, den Kalauer oder ganz ins Leere. Der Autor merkt das natürlich auch und hadert mit sich selber: „Hirnmischmasch“ (S. 13), „Da kennt sich ja keine Sau aus. Ich bügle wohl das Ärgste zurecht“ (S. 43), „konfus“ (S. 50), „Ich literarischer Versager!“ (S. 232). Aber er ist hilflos gegen seinen innern Wortetreiber, wie der Vielredner, der sich zwar ständig entschuldigt, aber dann doch weiterredet.
Gösta Maier hat kunstvolle Gedichte geschrieben, perfekte Aphorismen, glänzende kleine Stücke. Dort, in der kleinen Form, wird rechtzeitig der Punkt gesetzt vor dem Zerfließen. Das große Stück aber leidet unter dem auflaufenden Zuviel, das Buch wird überlang. Die kleine Belladonna war vor 12 Jahren in erster Fassung erschienen, halb so lang, doppelt so gut lesbar. Die Erweiterungen sind ihm schlecht bekommen. Der Schlußsatz lautet nun: „Ich verabschiede mich von Ihnen bis zur nächsten Bearbeitung …“ Der Leser möchte zurückrufen: „Bitte nicht!“ – und nimmt bei seinem Urteil Maß am früheren Roman „Der elektrifizierte k.u.k. Hofoptiker“ (1990). Das war bis jetzt das „Meisterstück“.