#Roman
#Prosa

Die Menschenfresserin

Monika Wogrolly

// Rezension von Klaus Kastberger

Es geht gleich ordentlich die Post ab in Monika Wogrollys Roman Die Menschenfresserin. Die Protagonistin der Geschichte, eine Frau namens Rosa, wird von der Autorin in den Text hineingeworfen, ungefähr so wie man ein Bündel nasser Fetzen auf eine regennasse Asphaltfläche wirft. Der Roman beginnt mit viel Wasser und viel Körper; das ganze Wasser und die ganzen Körper stürzen übereinander und setzen gemeinsam ein kleines Mädchen namens Rosa in die Welt. Dieses wird später alles nur für den „Zufall eines Kaiserschnitts“ halten.

Ein wenig seltsam mutet es an, daß nach einem so fulminanten Beginn gleich anschließend der Satz zu lesen ist, daß die Geschichte Rosas eigentlich keinen Anfang hat. Weitere 230 Seiten später wird dann auch noch behauptet, daß die Geschichte kein Ende habe, obwohl doch ein solches programmatisch im Titel steckt. Mit der Menschenfresserin macht Wogrolly bitteren Ernst: Am Ende der Geschichte hat Rosa ihren Yogalehrer ermordet und einen Teil seines Hintern verspeist, auch wenn der Text dieses Ding mit dem etwas vornehmeren Wort „Gesäß“ anspricht. Am Ende liegt die Frau zusammengekauert auf dem Fußboden und hält den Kopf des Toten im Schoß, mit einer Haarspange stochert sie zwischen seinen Zähnen herum. Auf die Frage, warum sie denn das Fleischstück gebraten hat, wird sie antworten, sie hätte den Yogi nicht gut genug gekannt, um ihn roh zu essen.

Was manchem Leser möglichweise wie ein schlechter Witz vorkommt, ist für Rosa blutiger Ernst. Die Frau ist als ein Opfer definiert, in diesem Punkt läßt Wogrolly ihrer Heldin keinen Millimeter Spielraum, und auch darin, daß die Täter meist Männer sind, herrscht Konsens. So beginnt Rosas Geschichte zwar mit einer eiskalten Mutter und einem gräßlichen Kartoffelpüree, das diese in ihrer Küche zusammenmanscht, gleich nachher taucht aber der ignorante Vater auf; ein Mann, bei dessen Anblick in Rosa zum ersten Mal der Gedanke aufkommt, daß man irgendwann einmal einen wirklichen Menschen verspeisen könnte. Zusätzlich motiviert ist diese Vorstellung vom äußeren Anlaß: der Erstkommunion des Mädchens. Auch durch ihren Bruder erleidet Rosa eine frühe Niederlage, von ihm heißt es, daß er die ganze positive Erbmasse der Familie erhalten habe und für das Mädchen davon eben rein gar nichts übrigblieb.

Die Reihe der monströsen Männer setzt sich später über einen transsexuellen Psychiater bis zu Rosas Liebhaber fort, einem Psychoanalytiker, der aus der Türkei stammt und – vielleicht auch deshalb, damit nur ja keine Mißverständnisse aufkommen – den vielsagenden Namen Pascha trägt. Ein solcher Name erklärt sich faktisch von selbst: Der Mann foltert und quält seine Geliebte mit Kleiderbügeln und tut dies erstaunlicherweise auch mit der Fernseh-Fernbedienung. Die Frau läßt solches gar nicht so ungern mit sich geschehen. Die Erklärung hierfür ist klassisch-psychoanalytisch und heißt „Wiederholungszwang“: Rosas Geschichte gibt dafür ein geradezu klinisches Beispiel ab: Die Frau kommt von den frühen Beschädigungen nicht los und kann sich von ihnen dann nur noch in einem eruptiven Ausbruch roher Gewalt befreien.

Die Figur Rosa glaubhaft zu finden und ihrer Psychologie in allen Verästelungen zu folgen, fällt unter solchen Vorzeichen doch etwas schwer. Dies liegt gar nicht so sehr daran, daß die Abgründe der Menschenfresserin so tief sind, sondern eher daran, daß sie nach einem so sterilen Modell geformt sind. Das Buch Die Menschenfresserin schwankt auf eine schwer nachvollziehbare Weise zwischen psychiatrischer Fallgeschichte und autobiographisch gefärbter Erzählung, wobei letzteres, nämlich der autobiographische Bezug des Ganzen, in einer höchst spekulativen Weise von der Umschlaggrafik des Buches unterstützt und zusätzlich akzentuiert wird.

Da ist auf dem Cover hinter dem Titel Die Menschenfresserin doch tatsächlich ein Foto Monika Wogrollys zu sehen. Daß es sich um die Autorin selbst handelt, wird auf der Innenklappe des Buches deutlich, wo sich das gleiche Foto nur mit einem etwas größeren Bildausschnitt über der Biographie der Autorin wiederfindet: „Monika Wogrolly, geb. 1967 in Graz“, ist dort nachzulesen: „studierte Philosophie und Germanistik, machte eine Ausbildung zur Psychotherapeutin, arbeitet nebenbei an einem bioethischen Forschungsprojekt und ist als Werbetexterin tätig“. Die Frau weiß also, wovon sie in ihrem Buch spricht.

Mit dem Roman Die Menschenfresserin hat Wogrolly, von der bislang ein Band mit Kurzprosa und zwei Romane vorliegen, versucht, ihre Schreibweise weiter radikalisiert. Rein sprachlich ist ihr das gelungen: Gemeinsam mit der Hauptperson fegt der Text in einem wahrer Furor über den Leser hinweg, die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit scheinen teilweise überwunden, sodaß auf Rosas Wahnwelten punktuelle Schlaglichter geworfen werden.

Unklar bleibt aber letztlich, wie die Autorin insgesamt zu Rosas Geschichte steht, und daran krankt der Roman entschieden. Teilweise ist das Buch mit großem Nachdruck in Ich-Form erzählt, dann wieder wird Rosa in der Distanz der dritten Person gehalten: „Ich liebe das schmutzige Leben“, heißt es an einer Stelle des Textes, „es ist authentisch“. Eigentlich beweist das Buch Die Menschenfresserin das Gegenteil, nämlich: daß Authentizität nirgends und auch nicht im schmutzigen Leben voraussetzungslos gegeben ist. Die dunklen Seiten der Psyche sollte vielleicht wirklich nur öffnen, wer genau weiß, was er man damit literarisch machen will.

Die Menschenfresserin.
Roman.
München, Wien: Deuticke, 2000.
237 Seiten, gebunden.
ISBN 3-216-30545-7.

Rezension vom 25.09.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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