Sie hatte in England bereits einen Verleger gefunden – der Beginn des 2. Weltkriegs verhinderte jedoch die Veröffentlichung. Und damit auch eine Publikation noch zu Lebzeiten der Autorin, der es nicht gelang, eine ähnliche schriftstellerische Karriere aufzubauen wie ihr Mann. Sie schrieb seit 1932 unter verschiedenen Pseudonymen und konnte Erzählungen in der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ unterbringen und nahm rege Anteil am literarischen Leben. Die politische Situation trieb sie ins Exil und in die Sprachlosigkeit. Anerkennung wurde ihr erst posthum zuteil.
Der Roman Die Schildkröten ist eine direkte Verarbeitung ihrer persönlichen Erfahrungen im Wien der 30er Jahre unter dem aufkommenden Nationalsozialismus und der antisemitisch geprägten Vorkriegsstimmung. Autobiographische und historische Bezüge fließen darin ein: Wohnungsrequirierungen, Novemberprogrom 1938, Deportationen. Die Jüdin Eva, die im Mittelpunkt des Romans steht, wird es schaffen, vor den Nazis zu fliehen. Der Verlust nahestehender Menschen und der vertrauten Umgebung überschatten aber das Glück der Flucht. Die lebhafte, junge, kluge Frau verwandelt sich in den Monaten und Jahren der immer stärker werdenden Bedrohung in eine unglückliche, gebrochene Frau.
Werner, Evas Schwager und Geologe von Beruf, wird als unerschütterlicher Charakter geschildert. Wie ein Stein so klar und fest ist sein Charakter, den er sich inmitten der Grausamkeit des nationalsozialistischen Alltags bewahren kann. Er entkommt aber nicht dem Untergang. Er wird das Opfer einer Verwechslung: Statt seines Bruders Andreas Kain (der Name ist ein fast zu offensichtliches Symbol) wird er deportiert. Andreas überlebt.
Veza Canetti erzählt in einer klaren, präzisen Sprache und aus verschiedenen Erzählperspektiven, wie die Figuren des Romans unterschiedliche Umgangsstrategien mit der Gefahr entwickeln. Die junge Jüdin Hilde versteigt sich in die wahnwitzige Idee, von einem Nazi (der ständig stolz seine „kleine“ Nummer präsentiert) einen „Aeroplan“ zu kaufen und ohne Visum ins Ausland zu gelangen. Der traumwandlerische Dichter Andreas Kain wartet in seiner Vorstadtvilla auf das erlösende Visum. Eva geht an den Erniedrigungen langsam kaputt. Werner will die Lebensgefahr durch die Nazis „in ihren Harlekinkostümen“ nicht wahrhaben. Wie die Schildkröten – Andreas bewahrt mehrere dieser Tiere davor, ein Hakenkreuz eingebrannt zu bekommen – verlieren die Menschen ihren schützenden Panzer und stehen in ihrer verletzlichen Nacktheit da.
Wenn Eva und Andreas am Ende die Brücke von Kehl nach Frankreich überqueren, sind sie gerettet, aber die Schuldgefühle und die seelischen Beschädigungen können sie nicht zurücklassen.