#Roman

Die Schmetterlingsfängerin

Margarita Kinstner

// Rezension von Emily Walton

Wer bin ich? Wo gehöre ich hin? Immer wieder kommen Zeitpunkte im Leben, in denen wir uns diese Fragen stellen und (erneut) beantworten müssen. Gerade wenn man in einen neuen Lebensabschnitt aufbricht, tauchen diese Gedanken auf. Vor der Geburt eines Kindes etwa; vor einem Umzug; oder bevor man sich an einen Partner bindet.

Katja, die Protagonistin aus Die Schmetterlingsfängerin befindet sich vor mehreren Weggabelungen zugleich. Sie plant in wenigen Wochen ihrem Partner Danijel nach Sarajevo zu folgen. Der Bosnier, der seine Jugend in Österreich verbracht hat, will in seine Heimat zurückkehren, aus der er vom Krieg zu Beginn der 1990er-Jahre vertrieben worden war. Er hat dort eine Stelle als Arzt. Ausgerechnet zu dieser Zeit erfährt Katja, dass sie schwanger ist.
Die vielen Veränderungen machen ihr zu schaffen. Wie wird es ihr in Bosnien gefallen? Als Außenseiterin in einem Land, dessen Sprache sie nicht fließend spricht; dessen Geschichte sie zwar aus den Medien und Büchern kennt, aber nicht selbst erlebt hat. Wie wird es ihrem Kind in der Umgebung gehen, die so anders als Österreich ist?
Umziehen, besser: wegziehen, bedeutet Abschied nehmen. Bei der Stadt, in der Katja aufgewachsen ist, fällt ihr das nicht besonders schwer. Die Protagonistin singt kein Loblied auf Wien, sie fühlt sich hier eingeengt und eingesperrt. Ihre Wurzeln liegen bei ihrer Großmutter väterlicherseits. Katja wurde als Kind eines sehr jungen Paars geboren, die ehrgeizige Mutter stellte die Übersetzerkarriere dem Kind voran, der Vater, ein Künstler, war während der ersten zwölf Lebensjahre seiner Tochter gar nicht auf der Bildfläche.
Die Großmutter – und alles was zu ihr gehört – bedeuten Heimat für Katja. Bevor sie Abschied von Österreich nimmt, möchte sie noch einmal in diese Idylle zurückkehren. Solburg und Haizendorf nennt die Autorin diese fiktiven Orte, in denen einst der Bergbau blühte und die inzwischen ausgestorben wirken.
Katja will nicht bloß zwischen den Kühen sitzen und Landluft schnuppern. Die Mittdreißigerin ist hier, um ihre Familienchronik aufzuspüren. Warum ist die Großmutter damals nicht mit ihren Schwestern nach Kanada ausgewandert? Und können sich die Einheimischen noch erinnern, dass Katjas Verwandter ein Handwerker am Stadtturm war? Was ist vom Erbe des Großvaters geblieben, der den Großteil seiner Zeit unter der Erde in den Stollen verbrachte?
Seite für Seite deckt Margarita Kinstner neue Facetten dieser vielschichtigen Familiengeschichte auf – bis ihre Protagonistin bereit ist, den Umzug zu ihrem Mann und in ihr neues Leben zu wagen. Dabei ist Sarajevo ihr nicht fremd. Danijels Verwandte hat sie bereits kennen- und lieben gelernt. Und sogar ihre eigene Familie hat Wurzeln hier, der Urgroßvater stammte aus eben dieser Stadt. Es sind beruhigende Faktoren, die das Umziehen trotzdem nicht leichter machen – zumal das neue Heimatland noch immer, auch zwanzig Jahre später, vom Krieg geprägt ist.
Margarita Kinstners Sprache ist bildhaft und präzise. Sie findet den richtigen Ton für jede Passage, mal ist er flott, mal einfühlsam, mal nachdenklich. Damit regt sie den Leser zum Nachdenken an und macht auch Lust, der eigenen Familiengeschichte nachzugehen.

Margarita Kinstner Die Schmetterlingsfängerin
Roman.
Wien: Deuticke, 2015.
288 S.; geb.
ISBN 978-3-552-06294-8.

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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