#Prosa

Die Tiefe der Zeit

Petra Ganglbauer

// Rezension von Janko Ferk

Zwei langsame Geschichten.

… UND DER WIND WAR JUNG
Petra Ganglbauer, die unentwegt Schaffende – in den letzten vier Jahren hat sie insgesamt fünf Bücher veröffentlicht – ist in vielen literarischen Heimaten zuhause, sie kann Essay, Hörspiel, Lyrik, Prosa und einiges andere. Die beiden neuen „langsamen Geschichten“ gehen tief.

Beim jeweiligen Lektüre-Einstieg hat man das Gefühl, die Autorin werde sich biografisch öffnen, naturgemäß ist jede literarische Zeile persönlich grundiert, doch spätestens wenn es bei einer im Jahr 1958 geborenen Schriftstellerin 2021 dezidiert heißt „Als sie 50 war./ Als sie 60 war./ Als sie 70 war./ Als das Leben das Leben war.“ (S. 60), weiß man, dass Die Tiefe der Zeit zwei Prosastücke über andere Leben sind. Wie nahe oder entfernt sie zu ihrem eigenen stehen, kann nicht konkret konstatiert werden. Die verbalen Umrisse sind – im besten Sinn des Worts – zu poetisch.

Es ist eine Poesie, die durch Behutsamkeit im Gebrauch der Wörter und Langsamkeit in der Komposition des Rhythmus entsteht. Auf diese Art können tatsächlich poetische Geschichten beziehungsweise Geschichten voller Poesie geschrieben werden. Geschichten voller kurzer, verständlicher, eleganter Sätze.

Gegen Ende des Buchs schreibt Petra Ganglbauer dann ein paar Sätze, die ihrer Prosa diametral entgegenstehen, die ihre Arbeit sozusagen konterkarieren, vielleicht gewollt oder ironisch. „Sie eiert sich durch die Sprache, jene, die sie seit ihrer Kindheit begleitet. Doch die Sprache verlässt sie nach und nach./ Die Pausen zwischen den Wörtern werden länger./ In ihnen hechelt sie, macht Anläufe, lautliche Irrläufe. Wortbrocken fallen./ Dann wieder das Abweichen und Entgleiten mitten im Satz./ Wortgestöber.“ (S. 57) In Ganglbauers Tiefe der Zeit ist so ziemlich genau das Gegenteil der Fall. Ihre Sprache wackelt nicht, sie geht aufrecht und sicher. „Sie tut es, ganz leicht, als ob sie flöge“ (S. 72), könnte man mit den Worten der Autorin – sozusagen authentisch – feststellen.

Petra Ganglbauer hat in der Tiefe der Zeit zwei Geschichten versammelt, die in ihrer Poesie kongruent sind, sich aber im Inhalt erheblich unterscheiden. Der erste Text, der den Buchtitel abgibt, und der zweite mit der Überschrift „Entgrenzung“ haben folglich ganz eigene Charaktere.

Beide Geschichten loten existenzielle menschliche Erfahrungen aus, die erste in der Kindheit, die zweite im Alter. Erfahrungen, die vorsichtig verbalisiert werden. Das Hochinteressante ist in beiden Stücken der kaum wahrnehmbare Übergang von der Realität zur Imagination, der sich so selbstverständlich vollzieht, dass man erst mitten in der Fiktion wahrnimmt, dass man sich nicht mehr in der Lektüre-Tatsächlichkeit befindet. Dieses lautlose Hinaus- und Hineingleiten aus einem (Literatur-)Zustand in den anderen ist eine der größten Stärken dieser Prosa.

Die „Entgrenzung“ erzählt, was hervorzuheben ist, Erotisches mit Distanz. Es wird nicht alles beim Wort genannt. „Sie spürt ihn bei sich, in sich, wird ganz wild./ Lässt sich mitreißen von den Strudeln, dem Begehren. Verbrennt daran./ Liegt besiegt und schwer atmend in ihrem Bett.“ (S. 53) Das Anreizende wird zu einer Nuance im „Seelenland“. Überhaupt ist der „Text als Landschaft“ eine literarische Intention der bewanderten Dichterin Petra Ganglbauer.

Die Tiefe der Zeit ist auch drucktechnisch ein ästhetischer Band, auf dessen Vorder- und Rückseite jeweils ein Gemälde der jung verstorbenen Künstlerin Gabriele Quasebarth (1956-1986), einer Rudolf Hausner-Schülerin, abgebildet ist. Die dominierenden Farben Blau und Rot erwecken einen edlen Eindruck, der mit dem zitierten „Seelenland“ korrespondiert.

Petra Ganglbauer Die Tiefe der Zeit
Geschichten.
Weitra: Bibliothek der Provinz, 2021.
74 S.; brosch.
ISBN 978-3-99126-024-0.

Rezension vom 17.08.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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