#Prosa

Die Treffsicherheit des Lamas

Christian Steinbacher

// Rezension von Florian Neuner

Hakenschlagen, rastlos: Christian Steinbacher im melancholischen Revier.

„Lamas strahlen Ruhe und Ausgeglichenheit aus“, so behauptet eine Broschüre, die für „Lamatrecking“ in Bad Gastein wirbt: „Genau so sollte eine Wanderung beginnen.“ Und auch Christian Steinbachers Wanderung durch das „melancholische Revier“ beginnt zunächst ganz gemächlich – mit vier sogenannten Zierleisten als ornamentale Einübung in die Schrift. Dabei kontrastiert den großen Bogen, den Steinbacher in diesem Buch spannt, die Atemlosigkeit und angespannte Unruhe einer Sprache, mit der alles in ständiger Bewegung und Spannung gehalten wird. Dem langen Atem, der großen Form entspricht keine ruhige Textbewegung in gemessenen Schritten. Unausgesetzt assoziative Haken schlagend, vor- und zurückgreifend hält der „Maul-Wurf“ vielmehr als „Sprechschleuder“ über 280 Seiten hinweg eine furiose rhetorische Suchbewegung in Gang und entfaltet einen beispiellosen Rede-Strom.

Auch in seinem nach Für die Früchtchen. Ein Plädoyer (2000) zweiten Prosabuch tritt Steinbacher wieder in Dialog mit der Literaturgeschichte. Von Caroline von Günderode bis hin zu Robert Walser und Robert Musil reicht die Bandbreite der intertextuellen Verknüpfungen. Neben diesen historischen Texten ist es aber vor allem der ungarische Essayist László F. Földényi, mit dem Steinbacher in seinem Buch Zwiesprache hält. Dessen großes Melancholie-Buch (Zweite Auflage 2004 bei Matthes & Seitz) hat diese Prosa wesentlich angeregt und bildet die wichtigste Folie für Steinbachers Arbeit.

Dem Begriff der Melancholie, von Wörterbuch bzw. Pschyrembel als „Gallsucht, Tiefsinn“ bzw. „von anhaltend großer Traurigkeit gekennzeichneter Gemütszustand“ gedeutet, haftet heute etwas unrettbar Nostalgisches an. Und auch László F. Földényi geht in seinem Buch von der Voraussetzung aus, daß der Melancholiker unserer Zeit „ganz und gar harmlos“ geworden sei. Erledigt scheint sich das Thema aber deshalb keineswegs zu haben. Dafür sind nicht nur die Bücher von Steinbacher und Földényi ein Beleg. In London und Berlin machte jüngst sogar eine Ausstellung mit dem reißerischen Titel Melancholie. Genie und Wahnsinn in der Kunst Furore. Christian Steinbacher hat seiner Treffsicherheit ein Földényi-Zitat vorangestellt: „Die Persönlichkeit bezieht die Welt […] auf sich selbst und geht unrettbar in die Falle.“ Und aus dieser Falle, dem vom „melancholischen Thema aufgerissenen Loch“, versucht Steinbacher sich nun in der ganzen mäandernden und irrlichternden Bewegung seines Textes herauszuarbeiten, sich gleichsam „am Schopfe packend“, um die Unterüberschrift eines Kapitels zu zitieren.

Der „thematisch gebundene Maulwurf“ nämlich – laut Agrippa von Nesselsheim ein melancholisches Tier, und für den Text von wesentlich größerer Bedeutung als das titelgebende Lama – gräbt dagegen, richtet sich nicht bequem ein im Stillstand seiner Stimmungen. Er setzt vielmehr seine „Gestimmtheiten-Schleuder“ dagegen, und die von der Melancholie stillgestellten Bilder beginnen zu flimmern und zu flirren. Sein Schreiben – und das betrifft seine Prosa ebenso wie seine Lyrik – ist wesentlich ein Sprechen. Steinbachers Texte sind durchsetzt von rhetorischen Figuren, Interjektionen, Fragen, Antworten, nahe an der gesprochenen Sprache, wenn sie sich nicht gerade in an Einschüben reiche, verschachtelte „Satzfluchten“ verliert. Dieses ständige, inszenierte Sich-Verlieren ist das Hauptmerkmal dieses Sprechens: „Hauptsache, wir verstricken uns wieder einmal ohne Netz.“

In die Sprech- und Suchbewegung seines Textes vermag Steinbacher dabei alles mögliche hineinzuziehen, er hält ihn in alle Richtungen offen. Neben einer poetologischen Ebene, auf der der Text unablässig über sich selbst nachdenkt, fließen neben den bereits erwähnten intertextuellen Bezugnahmen Beobachtungen, Nebensächlichkeiten, Kneipendiskussionen und musikalische Erfahrungen ein. „Als ginge es denn immer noch um ein Verdikt der Ausgeschlossenheiten“, lesen wir in einer der „Zierleisten“, „wenn, so wie hier, doch jeder ‚Abfall‘, und selbst der aus jenen leidigen Debatten, nur eine ganz bestimmte ‚Stoffart‘ hergeben will.“ Das mag man als Reflex lesen auf das, was Adorno die „Melancholie von Form“ genannt hat. Es muß gegen das formal Rigide, das Herrschaft in die Kunstwerke hinein verlängert, angearbeitet werden. Die ungezählten Möglichkeiten, die das „Unendliche ins Sein schmuggeln“, wie es in einem als Motto dienenden Gedicht heißt, kommen in Steinbachers fulminanter Prosa modellhaft-sprachlich zu ihrem Recht.

Christian Steinbacher Die Treffsicherheit des Lamas. Oder: Von Melancholien, Maul-Würfen und deren Zurückweisung.
Prosa.
Innsbruck: Haymon Verlag, 2004.
284 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85218-450-9.

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Rezension vom 09.01.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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