#Lyrik

Die Uhrwerkslogik der Verse

Gerhard Kofler

// Rezension von Helmuth Schönauer

In der Literatur geht es oft zu wie in der Sandkiste: Manche Schriftsteller werden zwecks besserer Erkennung aus der Entfernung kostenlos mit einem Spitznamen ausgestattet. Der Südtiroler Gerhard Kofler ist der Zweisprachen-Kofler zum Unterschied vom Guggile-Kofler, ein Spitzname, mit dem der Kärntner Werner Kofler gern bezeichnet wird.
Tatsächlich kann sich niemand vorstellen, daß Gerhard Kofler ein nicht-zweisprachiges Gedicht schreiben könnte. So ein Fehlwurf aus Koflers Sicht müßte dann einseitig, eingleisig oder einsilbig sein.

Gerhard Koflers Tandem-Lyrik hat grundsätzlich einen biografischen und einen politischen Hintergrund. Als zweisprachiger Kosmo-Patriot hat er für sich selbst immer beide Sprachen, Italienisch und Deutsch, ausgewogen verwendet und die Zweisprachigkeit in seiner Dichtung als politische Äußerung institutionalisiert. Und ausnahmsweise hat sich die Politik an die Erfahrung der Literatur gehalten; die Südtiroler Gesellschaft ist nicht zuletzt durch das Literaturprogramm Gerhard Koflers eine Sprachgemeinschaft geworden, die im Schutze einer augenzwinkernden Autonomie Wohlstand und Lebenslust kreativ verwaltet.

Das Programm der Zweisprachigkeit hat auch noch einen zusätzlichen Nutzen. Im Wechselspiel der Poesien entsteht eine dreidimensionale Eindeutigkeit. Der Zyklus „Singbar“ dürfte vermutlich in erster Linie durstige Bargelüste ansprechen, durch die beigefügte italienische Formulierung „cantabile“ allerdings wird das „Sing-bare“ deutlich.
Wie das plastische Bild erst durch die Verwendung von zwei synchron geschalteten Augen entsteht, entwickelt sich aus den beiden Sprachästen der Dichtung die plastische Poesie Gerhard Koflers. Und wenn es notwendig ist, greift der Autor durchaus zum Neologismus und schleift sich in Handanfertigung das benötigte Sprachstück zusammen, wie es etwa mit dem italienischen Titel „L’orologica“ geschehen ist, in dem „ora“ (jetzt, Stunde), „oro“ (Gold), „orologio“ (Uhr) und „logica“ (Logik) zu einer griffigen Legierung verschmolzen sind.

„Uhrwerkslosigkeit“ ist nach „Am Rand der Tage“ (1996) und „Der ausgesetzte Platz“ (1997) der dritte und umfangreichste Band der Kalender-Trilogie.
Der poetische Bogen spannt sich von einem reinigenden Frühlingsfasten, das auch die Geburtsstadt Bozen und die Traumstadt Paris mit einbezieht, über Mäander und Zerstreuungen aus Griechenland bis hin zu den lyrischen Höhepunkten des Jahres im August und September.
„atme / die frische luft / und nenne es / flug / was / zu boden / dich bringt“ (S. 165), heißt es an so einem Höhepunkt, wo nicht nur Wetter und Jahr, sondern auch Lebenssinn und Lebensplanung unerwartet gelassen umschlagen.
Immer wieder sind in die „Uhrwerkslogik“ Kaffeehaus-Gedichte im klassischen Stil eingeflochten; Zeit, Ort und Thema gehen in Rauch auf und werden abschließend mit einem Schluck Wasser hinuntergespült.

Gerhard Koflers Gedichte sind logisch und poetisch, sie sind in der Niederschrift straff und knapp und lassen dem Leser dennoch genügend Zeit, daß sich dieser zwischendurch seine persönliche Uhr aufzuziehen vermag.

Gerhard Kofler Die Uhrwerkslogik der Verse
L’orologica dei versi.
133 poesie – 133 Gedichte.
Text deutsch und italienisch.
Innsbruck: Haymon, 1999.
223 S.; geb.
ISBN 3-85218-289-1.

Rezension vom 26.03.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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