„Dieses Kompendium ist folglich in der Gänze durchaus arbiträr“, so der Doderer-Spezialist weiter (S. 7). Bei einzelnen Stichworten, wie zum Beispiel bei Chronologie und Personal der Wiener Romane, legt Löffler jedoch Wert auf Vollständigkeit.
Insgesamt 100 Einträge sind es schließlich geworden. In Thema, Umfang und Art der Beschreibung könnten sie nicht unterschiedlicher sein.
Wissenschaftlich akribisch arbeitet Löffler etwa beim über 60-seitigen Eintrag zu den Personen der Wiener Romane „Die Strudlhofstiege“ und „Die Dämonen“, wobei sich unter den 337 Namen klarerweise eine Unmenge von Nebenfiguren wiederfindet. Ein praktisches Detail ist dabei, daß die Namen der Personen, die in beiden Büchern vorkommen, fett gedruckt sind. Den in Doderers Werk zentralen poetologischen Kategorien widmet sich Löffler in den kompakten essayistischen Stichworten Erinnerung, Eckpfeiler, episodäre Zentrierung und Verflechtungen. „Als dichterische Verarbeitung seiner Kindheit und Jugend dominiert die Erinnerung sogar die anderen Eckpfeiler seiner Prosa […]“ (S. 139), schreibt Löffler und vergleicht das Gesamtwerk des österreichischen Schriftstellers mit demjenigen Marcel Prousts: „Im Frühwerk beginnt diese Suche [nach der verlorenen Zeit], in den Wiener Romanen Die Strudlhofstiege – Die Dämonen – Die Wasserfälle von Slunj bis hin zum Romanfragment Der Grenzwald kulminiert sie und schließt ein zusammenhängendes Werk ab, das, in der Überwindung des ‚Direkt-Autobiographischen‘, nichts ist als eben indirekte Autobiographie.“ (S. 144)
Trotz der Bewunderung für das Werk „seines“ Dichters übernimmt Henner Löffler in seinem ABC allerdings nicht unkritisch jene Theorien, die der „Meister“ so gerne bis ins Letzte ausreizte. So etwa diejenige der Apperzeption, worunter Doderer das „wirkliche“, offene Erfassen und Verstehen, die Durchdringung der Welt versteht. Das Gegenteil dieser Haltung bezeichnete der Schriftsteller als Apperzeptionsverweigerung, die etwa durch Melzer in „Die Strudlhofstiege“ verkörpert wird. Löffler über dieses „Erklärungsmodell der Wirklichkeit“: „Jedoch erliegt er [Doderer] auch hier der Versuchung, ein einmal gefundenes Erklärungsmuster zu einseitig zu generalisieren und auf einen zu simplen Nenner zu bringen.“ (S. 35f.). Für das Verständnis der Texte sei sie daher – anders als nach Doderer – nicht unverzichtbar. „Es handelt sich, ganz respektlos formuliert, um eine Marotte.“ (S. 36)
Was in Löfflers ABC freilich auch nicht fehlen darf, sind Einträge zu den kauzigen Elementen in Doderers Werk. Dazu gehören etwa die nicht allzu ernst gemeinten Verschwörungstheorien zur Berufsgruppe der Hausmeister. Ebenso amüsant zu lesen das Stichwort Hulesch & Quenzel, einem Motiv aus „Die Merowinger oder Die totale Familie“. Tätigkeitsbereich dieser Firma ist „die Erzeugung von Grimm, hauptsächlich durch Lieferung entsprechender Gegenstände, welchen Tücke innewohnt und die damit Wut und Brachialitäten erzeugen“ (S. 202). An die „Tücke des Objekts“ (zum Beispiel derjenigen des Wasserglases, das langsam an den Rand des Tisches wandert) glaubte Doderer im übrigen ernsthaft.
Fazit: Wer sich mit zentralen Motiven und Konstanten in Doderers Werk auseinandersetzen und den unzähligen Verästelungen und Interdependenzen nachspüren will, der ist mit Henner Löfflers „Begreifbuch von höheren und niedern Lebens-Sachen“ bestens bedient. Denn mit dem schalen Geschmack eines trockenen Lexikons hat dieses erkenntnisreiche und unterhaltsame ABC nichts zu tun – was wohl ganz im Sinne Doderers ist.