#Prosa

Dschungel der Liebe

Helmut Eisendle

// Rezension von Jürgen Thaler

Der Titel von Helmut Eisendles schmalem Traktat über die Liebe gibt die Richtung vor, wie man sich den neun kurzen Abhandlungen, die der Band enthält, nähern kann. Es ist der Dschungel als schwarzer Fleck im Feld der Vernunft.

„Gebiete urbar zu machen, auf denen bisher nur der Wahnsinn wuchert. Vordringen mit der geschliffenen Axt der Vernunft und ohne rechts noch links zu sehen, um nicht dem Grauen anheimzufalllen, das aus der Tiefe des Urwalds lockt. Aller Boden mußte einmal von der Vernunft urbar gemacht, vom Gestrüpp des Wahns und des Mythos gereinigt werden.“ Was Walter Benjamin gelegentlich seiner Beschäftigung mit dem Mythos im Rahmen seines Passagen-Werks als Strategie ausgegeben hat, gilt auch für den Bereich der Liebe.

Augenscheinlich wuchern in ihm, wildnisgleich, allerlei Irrationalitäten. Wie dem auch sei, die Abhandlungen über die Liebe sind zahlreich, der Umgang mit der Liebe gleicht jenem mit dem Mythos. Er ist immer auch eine Chiffre der jeweiligen Gegenwart.

Das weiß auch Helmut Eisendle – und schreibt: „Die Liebe ist eine Legende, als Metapher mehr oder weniger die Seele der Zivilisation: die Liebe zu leben, die Liebe zu hassen, die Liebe zu spielen, die Liebe zu dichten, zu malen, zu musizieren, die Liebe zu töten, die Liebe zu lieben. Eine zivilisatorische Leistung. Ein Stück Kultur. Ein Motor.“ Der Ausschnitt ist ein gutes Beispiel, weil er den Ton bezeichnet, mit dem sich Eisendle dem Thema nähert.

Seit der Romantik ist neben der Kunst die Liebe der Ort der „Gegen-Vernunft“. Diesen nun versucht Helmut Eisendle zu durchforschen, indem er Privates öffentlich macht. Denn, so heißt es am Ende seines Texts, „Dschungel der Liebe beruht auf Briefen, die ich in den letzten zehn Jahren […] geschrieben habe“. Vielleicht war der eine oder andere Liebesbrief in dieser Korrespondenz enthalten.

In der Offenlegung der Form, wie die Gedanken in Dschungel der Liebe erstmals verfaßt wurden, liegt gewissermaßen ein Grundproblem des kurzen Texts. Was in Briefen skizziert und entworfen wurde, erscheint nun in Buchform, wie verfremdet auch immer, als ernsthafte Annährung an die Liebe in neun Etappen, die oft den Charme von Lebensweisheiten ausstrahlen. So heißt es zum Beispiel: „Der höchste Grad des Liebesgefühls ist eine Rarität wie ein großes Kunstwerk. Da ich dessen Existenz nicht leugne, glaube ich, daß die Liebe etwas von einem Wunder an sich haben muß. Ereignet sich der seltene Fall, daß zwei Menschen den stärksten Grad der Liebe fühlen, so vollzieht sich gegen alle Naturgesetze ein Wunder, daß Eines das Andere erhebt und daß beide über der Erde schweben. Ob Glück oder Tod, die Sehnsucht der Mystik wird erfüllt.“

Beim Lesen solcher und ähnlicher Zeilen verstärkt sich mehr und mehr der Eindruck, daß Helmut Eisendle solche Gedanken besser zu Motiven einer Liebesgeschichte verwendet hätte, als sie mit pathetischer Geste der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mit Dschungel der Liebe legt er jedenfalls einen Text vor, der in keinster Weise mit jener Axt der Vernunft das Dickicht des Urwalds bearbeitet, sondern der darauf setzt, die dem Thema angemessene Irrationalität in Floskeln und billiger Metaphysik zu verdoppeln, die den Leser ratlos am Ende in dieser schlechten Welt zurückläßt.

Helmut Eisendle Dschungel der Liebe
Traktat über die Liebe.
Mit Fotografien von Lisl Ponger.
Wien: Sonderzahl, 1998.
60 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85449-143-3.

Rezension vom 01.09.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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