Der Ton des Romans ist unaufdringlich rhythmisch, die Sprache verschwindet hinter der Handlung, lässt den Figuren ihren Raum, in dem sie immer wieder direkt zu Wort kommen. Wir lernen die drei Hauptfiguren zunächst einzeln kennen: Agnesa hilft aus im griechischen Beisl ihres Stiefvaters, irgendwo in der Wiener Brunnenmarkt-Gegend, Eduard verkauft Computersicherheit und hackt sich in fremde und halbfremde Systeme, stalkt und wird gestalkt, und Felicitas genießt eine späte Liebe, denkt bei der Gartenarbeit über alte und neue Zeiten nach, über wenig emanzipierte Mädels, ihren Ex-Mann und die Entfremdung von ihrer Tochter und die Enkelkinder am anderen Ende der Welt.
Agnesa, ihrerseits der Mutter nicht sehr nahe, sucht ärmlich beengten Verhältnissen zu entkommen, und findet, ahnungslos und unerfahren, Arbeit auf einem Bauernhof mit Ferienzimmern, wo sie in der Sommerhitze schwarz als Zimmermädchen schwitzt. Eduard denkt in If-else-Algorithmen darüber nach, welche Chancen er bei seiner neuen Bekanntschaft Bianca hat und Felicitas erbt von einer Freundin lebenslanges Nutznießen einer Wohnung in Wien. Zunächst scheinen die drei nicht viel miteinander zu tun zu haben, aber nach und nach stellt sich eine Ahnung ein, wo und wie sie sich begegnen, in welcher Beziehung sie zu einander stehen könnten.
Beziehungen sind das zentrale Thema in Mieze Medusas Roman. Die Autorin erzählt klar und schnörkellos von Menschen, die ihr Handeln in zufälligen Begegnungen aufeinander abstimmen, im virtuellen und im analogen Raum, erzählt von komplizierten, vertrackten, enttäuschten Beziehungen in der Familie, von Erwartungen, Hoffnungen und Verletzungen, von erträumten, unerreichbaren Wunschpartner*innen und unerwünschten Grapschereien, aber auch von Zuneigung, Freundschaft und Liebe. Von Figuren, die sich unfair oder ungeschickt verhalten und es vielleicht gar nicht so meinen. Oder doch. Aber eines steht fest: Das Leben geht weiter und niemand schafft es alleine.
Die Figuren stammen allesamt nicht aus dem Perfektions-Bilderbuch. Agnesa ist dick und unsicher, Eduard leidet unter seiner hohen Stimme, und Felicitas ist manchmal etwas zu kämpferisch und rennt sich auch mit fast 70 noch manchmal den Schädel an. Du bist dran ist nachgerade ein Motto dafür, dass es immer etwas zu tun gibt, dass man und frau immer an sich arbeiten kann, dass es nie zu spät ist, die Dinge in die Hand zu nehmen, aus Fehlern zu lernen, sich für einander zuständig zu fühlen und zu erkennen, dass es vielleicht nicht immer so wichtig ist, Recht zu haben. Es ist ein Buch voller Wärme und Empathie. Klimawandel, Sturmschäden, Borkenkäfer, unterschwelliger Alltagsrassismus und die allgegenwärtige Datenindustrie, die die Spuren gläserner Menschen aufsaugt, sind der Hintergrund dieses Romans am Vorabend der Pandemie, und die Handlung ist eng mit diesem Hintergrund verwoben. Wir schreiben 2019. Die Figuren können nicht ahnen, was da noch alles auf sie zukommen wird, aber wir können uns denken, dass sie es schaffen werden. Gemeinsam. Da braucht Mieze Medusa kein Wort darüber zu verlieren. Und das tut sie auch nicht. Wie sagt am Ende Felicitas? „Es ist noch zu früh, meinen eigenen Epilog zu schreiben.“