Neal Gablers bemerkenswerte Studie umfasst den Zeitraum vom allmählichen Beginn des Studiosystems nach der Jahrhundertwende bis zu seinem definitiven Ende in den 1950er Jahren durch Fusionen, Pleiten oder dem Verkauf der Studios an anonyme Kapitalgruppen oder Spekulanten, die mit dem Filmgeschäft nichts zu tun hatten. Gabler interessiert sich für einen besonderen Aspekt der Geschichte Hollywoods, der bisher zwar bekannt war, aber nie in seinen unzähligen Facetten und Auswirkungen dokumentiert und analysiert wurde: für den Umstand, dass die großen Studios allesamt von ostjüdischen Einwanderern der ersten oder zweiten Generation gegründet und geführt wurden. Die USA waren ein Einwanderungsland, doch ostjüdische Einwanderer rangierten damals in der Skala der öffentlichen Wertschätzung nur ein wenig über den Chinesen, unter Iren und Italienern und auch unter den bereits etablierten deutschstämmigen Juden. Im damaligen kommerziellen Zentrum der USA, der Ostküste, war eine Karriere nahezu unmöglich und so wurde das belächelte Los Angeles, 1915 ein ländlicher Flecken mit 400.000 auf einer riesigen Fläche verstreuten Einwohnern, für die Pioniere der Filmindustrie – unter ihnen Harry Cohn, William Fox, Carl Laemmle, Louis B. Mayer, Benjamin Warner, Adolph Zukor – das neue Land, von dem aus sie die USA eroberten. Diese ehrgeizigen Männer, die im materiellen Elend aufgewachsen waren, nützten ihre Chance, kämpften rücksichtslos um materiellen Erfolg und nützten den damals noch verachteten Film, die einzige Geschäftssparte, in die man sie hineinließ, als Mittel ihrer gesellschaftlichen Integration.
Das ist ein hochinteressanter Aspekt, den man in den Fachgebieten Industrie- oder Sozialgeschichte abhandeln könnte. Doch Gabler zeigt auf einem sehr breiten Feld, dass die Integrationsproblematik der Studiobosse und ihrer ebenso jüdischen Anwälte, Kinobesitzer, Autoren und Schauspieler auch eine kulturhistorische Dimension hat. Der wichtigste Punkt ist wohl der folgende: Filme waren damals maximal einige Minuten lang, der Besuch in provisorischen Kinos war ein typisches Vergnügen der städtischen Unterschicht, für das man einige Cent zahlte. Männer wie Zukor erkannten das Potential des Filmes: sie begannen lange Filme zu drehen, führten sie in theatergleichen Kinos vor und machten das neue Medium für die finanzkräftige Mittelschicht attraktiv. Der Versuch, den Film „gesellschaftsfähig“ zu machen, lief parallel zu dem, selbst bürgerliche Respektabilität zu erwerben, das Produkt sollte den Produzenten sozusagen adeln. Doch die etablierte Gesellschaft verweigerte den jüdischen Aufsteigern weiterhin die Anerkennung und verschloss ihnen die Golfclubs der „oberen Zehntausend“, zu denen sie dem Vermögen nach zählten. Hollywood blieb eine Art Ghetto und so schufen die mittlerweile etablierten Filmpioniere eine Gegenwelt, in der sie sich in jenem glamourösen Stil selbstinszenierten, der mit seinem Hang zur Dramatik, zu Exzessen und der Demonstration von Größe bis heute für Hollywood charakteristisch ist.
Die Studiobosse praktizierten einen patriarchalischen Führungsstil – sie intervenierten nicht nur beim Drehbuch und in der Regie, sondern kümmerten sich trotz der steigenden Anzahl der produzierten Filme selbst um Details. So prägten ihre persönlichen Neigungen auch ihre Filme: Columbia, so Gabler, präsentierte in ihren Filmen das Leben entweder so, wie ihr Chef Harry Cohn es sah, oder wie er sich wünschte. Die Plots und die Ästhetik der Filme der Warner-Brothers wiederum kreisen häufig um das grundsätzliche Misstrauen des Protagonisten, um seine Angst, ausgenützt und übervorteilt zu werden, und um seine Vorstellung, nur auf sich selbst gestellt etwas erreichen zu können – also um Mentalitäten, welche die Studioinhaber in ihrem schwierigen sozialen Aufstieg erworben hatten. Das alles gehört allerdings auch zum „American Dream“ und die um Anerkennung bemühten jüdischen Außenseiter bekräftigten ihn sowohl in ihren Filmen wie auch in ihrer Lebensführung. Gabler attestiert ihnen eine Haltung, die Isaiah Berlin in einem anderen Zusammenhang als „übermäßige Bewunderung und sogar Verehrung der Mehrheitsmeinung“ durch den Außenseiter beschrieben hat, die leicht zu einer „neurotischen Verzerrung der Tatsachen“ führen kann.
Die jüdischen Hollywood-Pioniere definierten sich in einer gelegentlich übersteigerten Weise als Amerikaner. Es ist überraschend, dass wir den Konflikt zwischen der traditionellen und der überlieferten Lebensform in zahlreichen Filmen finden. Selbst der erste Tonfilm, „The Jazz – Singer“ mit dem jüdischen Schauspieler Al Jolson in der Titelrolle thematisiert den Konflikt zwischen den beiden Lebensrollen als Sänger in der Synagoge und im Unterhaltungsgeschäft. Harry Cohn und Jack Warner allerdings spotteten über ihr Judentum und allmählich wurde das Jüdische eliminiert – aus Emmanuel Goldenberg wurde Edward G. Robinson und (dieses lokale Beispiel ist Gabler entgangen) aus dem Neffen des Chefredakteurs der Wiener „Arbeiter-Zeitung“ Friedrich Austerlitz wurde Fred Astaire.
Dennoch bedrohte der Antisemitismus die jüdischen Filmpioniere. Der berüchtigte Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten war ursprünglich auf Initiative eines jüdischen Kongressmitglieds gegründet worden, um den Einfluss der NS-Propaganda in den Vereinigten Staaten zu untersuchen. Unter seinem Vorsitzenden Rankin, einem dezidierten Antisemiten, der die traditionelle Gleichung Jude = Kommunist so weit trieb, dass er behauptete, die Kommunisten hätten Jesus Christus getötet, suchten die jüdischen Studiobosse einen bis heute umstrittenen Ausgleich mit dem Ausschuss: von den fünfzehn Produzenten, die jene berüchtigte Erklärung unterschrieben, mit der alle Filmschaffenden, die mit dem Ausschuss nicht kooperierten, auf eine schwarze Liste gesetzt wurden, waren zehn Juden. Das wurde oft als Solidarität der Kulturindustrie mit dem Antikommunismus ausgelegt; Gabler stellt hier sehr dezidiert ein bisher übersehenes Faktum hervor: der Grund dieser schnellen Willfährigkeit liegt nicht im politischen Bereich, sondern in einer kollektiven Angst, die Lester Roth, der Vizepräsident von Columbia, so formulierte: „Sie ließen uns nicht in die Banken. Sie ließen uns nicht in die Versicherungen. Sie ließen uns nicht in die Industrie. Da haben wir dies hier aufgebaut, und nun wollen sie es uns wegnehmen.“
1975, im Alter von 102 Jahren, starb Adolph Zukor, der letzte Überlebende der jüdischen HoIlywood-Pioniere. Im Gegensatz zu anderen amerikanischen Industriezweigen – dem Automobil oder dem Ölgeschäft – hat das Filmgeschäft keine „Dynastien“ hervorgebracht. Immer noch gibt es viele Menschen jüdischer Abstammung im Filmgeschäft, doch die „großen Namen“ aus der Pionierphase sind heute unbedeutend geworden. Der Aufstieg Hollywoods war das Werk einer überschaubaren Gruppe von Menschen, die damit ihre Lebensproblematik zu lösen versuchten, ihre Erben spielen in einer der mächtigsten Industrien der Welt keine Rolle mehr.