#Roman

Ein guter Mensch

Jürgen Bauer

// Rezension von Angelo Algieri

Wann ist ein Mensch ein guter Mensch? Wenn er auf der richtigen Seite steht? Ist ein guter Mensch Teil der Lösung? Ist er gut, wenn er der Allgemeinheit hilft, sich dienlich zeigt? Gar die eignen Leute unterstützt? Oder ist ein guter Mensch jemand, der zu seinen Überzeugungen steht und danach handelt? Um diese und ähnliche Fragen geht es im neuen Roman Ein guter Mensch (Septime Verlag) des in Wien lebenden Autors Jürgen Bauer, Jahrgang 1981.

Der Plot spielt in naher Zukunft, irgendwo in Mitteleuropa, höchstwahrscheinlich in Österreich: Der Klimawandel ist vorangeschritten, es ist das ganze Jahr über warm; im Frühling und Sommer ist es unerträglich heiß und trocken. Das zentrale Problem: Wasserknappheit. Die Wasserrationen werden in Zentren zugeteilt, jeder muss mit seinem dürftigen Anteil haushalten. Das namenlose Land hat seine südliche Grenze geschlossen und eine Pufferzone eingerichtet, in der Flüchtlinge aus den ausgedorrten südeuropäischen Ländern gelegentlich erschossen werden, wenn diese die Grenze illegal überqueren wollen. Diese „Durstigen“ fliehen, weil es in ihren Ländern noch heißer und das Wasser noch knapper ist. Chaotische Zustände herrschen dort, Warlords regieren. Die Situation in Süd-/Südosteuropa ist schlicht trostlos.

Inmitten dieses hitzigen Szenarios wird in der Dritten-Person-Perspektive die Geschichte von Marko erzählt – und wie nebenbei von seinen Verwandten, Bekannten und Freunden. Er liefert in Großtanks Wasser von der Zentrale zu den Bezirksreservoirs, gemeinsam mit seinem besten Freund Berger, der zum ersten Mal mitfährt, weil Marko ihm den Job verschafft hat. Auf dieser Fahrt stoßen sie auf eine Durstige, die sich vor ihnen auf die Straße wirft und Wasser fordert. Marko weigert sich. Die Durstige gibt nicht nach und lässt sie nicht weiterfahren. Mehr noch: Sie schlitzt sich die Unterarme auf. Die Freunde sind schockiert, rufen letztlich die Rettung. Für die Durstige war es der alternativlose Ausweg: Denn sie wird nun für einen oder mehrere Tage im Krankenhaus versorgt und erhält dort das ersehnte Trinkwasser.
Nicht jedem in Markos Clique schmeckt dies. Es gibt einige, die gegen die Durstigen Ressentiments und Vorurteile haben. Aber auch Sorgen, dass das Wasser nicht mehr für alle reicht und deswegen den Einheimischen vorbehalten werden sollte. Andere haben keine oder eine fatalistische Meinung zur Situation. Großes Gesprächsthema ist die aufkeimende Bewegung „Die dritte Welle“, die mit ihren Spaß- und Guerillaaktionen auf sich aufmerksam macht. Weil sie zur Wasserverschwendung aufrufen. Etwa installieren sie mitten auf einem Platz ein Freibad, mit aufblasbaren Schwimmbecken und jeder Menge Wasser, das sogleich in der Superhitze verdampft. Die meist jungen Menschen haben Spaß – etwas was vielen abhanden gekommen zu sein scheint. Zudem propagieren sie, keine Angst zu haben. Vielen erscheint diese Bewegung suspekt; Marko beobachtet, wie sie ein Pulver nehmen – eine Droge, damit die Anhänger alles mitmachen?

Jürgen Bauer hat mit seinem nunmehr dritten Text einen veritablen Roman der Stunde vorgelegt. Denn die gesellschaftlichen Themen der letzten Jahre fasst er in diesem Klimakatastrophen-Szenario bestens zusammen und erinnert so an den vielgelobten aktuellen Roman „Amercian War“ von Omar El Akkad. Die in Bauers Buch angesprochenen Themen kommen uns in Österreich allzu bekannt vor: die sogenannte Flüchtlingskrise, das politische Durchwursteln, die Wutbürger und besorgten Bürger, die Desinformation und Paranoia/Verschwörung. Die Aktionen der Bewegung „Die dritte Welle“ erinnern in ihrer Drastik etwa an die Aktion „Flüchtlinge fressen“ des „Zentrums für politische Schönheit“, für die mitten in Berlin eine Arena mit vier libyschen Tigern errichtet wurde. Auch die aktuelle Bewachung des Brenners und der Südgrenze ist in diesem Roman bereits eingebettet und der Autor zeigt, zu welchen dramatischen, unmenschlichen Vorfällen es kommen kann.
In diesem (politisch) aufgeheizten Klima stellt sich für jeden Einzelnen die Frage: Auf welcher Seite stehst du? Wie hälst du es mit den Durstigen bzw. Geflüchteten? Stehst du bei den Guten? Mit diesem Text zwingt Bauer uns diese Fragen auf, stellt unser Verhalten infrage. Inwieweit sind wir Teil der Lösung? Oder sind wir – wie es im Roman heißt – gar Teil des Problems? Können wir durch vermeintlich einfache Tätigkeiten wirklich die Probleme lindern oder verstärken wir sie gar und verhindern so eine grundlegende Lösung?

Aber auch auf einen anderen Aspekt macht dieser Text aufmerksam, einen Aspekt, der uns aus Bauers grandiosem Zweitlingswerk „Was wir fürchten“ bekannt vorkommt: Wem vertraut man? Das Thema der Paranoia, das im Vorgängerroman im Kleinen filigran und in seiner ganzen Tiefe gekonnt geschildert ist, findet sich nun im großen gesellschaftlichen Maßstab wieder: Kann man der Beurteilung der Regierung trauen? Gibt es wirklich nur so wenig Wasser? Oder will die Regierung die Bevölkerung mit weiteren Entbehrungen schikanieren? Darf man der Regierung oder der „dritten Welle“ Vertrauen schenken?

Fazit: Auch wenn Bauers neuester Roman die gesellschaftlichen Zusammenhänge eher oberflächlich und plakativ beschreibt, so verarbeitet der Autor doch alle relevanten Themen der letzten Zeit und treibt die Handlung mit dem Klimakatastrophensetting auf den Punkt – und auf einen hyperdramatischen Schluss zu.

Jürgen Bauer Ein guter Mensch
Roman.
Wien: Septime, 2017.
224 S.; geb.
ISBN 978-3-902711-64-9.

Rezension vom 29.08.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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