#Prosa

Ein Jahr mit Thomas Bernhard

Karl Ignaz Hennetmair

// Rezension von Sabine E. Dengscherz (Selzer)

Schon mehrere Jahre war der Realitätenvermittler Karl Ignaz Hennetmair mit Thomas Bernhard befreundet, er hatte für ihn bereits den Kauf des alten Bauernhauses in Obernathal bei Ohlsdorf und der „Krucka“ am Grasberg organisiert und dem Dichter etliche unwillkommene Gäste vom Hals gehalten, als er schließlich beschloss, die gemeinsam verbrachte Zeit – heimlich – in einem Tagebuch festzuhalten, das ganze Jahr 1972 hindurch.
Und uns damit „Thomas Bernhard privat“ zu präsentieren.

Nahezu täglich haben die beiden einander getroffen, manchmal sogar mehrmals an einem Tag. Sie unternahmen weite Spaziergänge und Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung. Sie aßen zusammen in Landwirtshäusern oder bei Hennetmair zu Hause, wo es Thomas Bernhard stets außerordentlich gut geschmeckt haben soll, tranken Wein oder den Most aus Bernhards Keller und hatten offenbar viel Spaß miteinander. Die Hennetmairs seien für den Dichter eine Ersatzfamilie gewesen, auch mit Hennetmairs Frau und mit der Omi, seiner Mutter, habe er sich so gut verstanden, dass die gemeinsamen Abende nicht selten von „Lachkrämpfen“ begleitet gewesen seien. Abgesehen von Thomas Bernhards Humor werden aber auch seine Launen schonungslos mitgeteilt, seine Rücksichtslosigkeit, die manchmal in verschmitzte Bosheit umschlagen konnte, und nicht zuletzt so wenig sympathische Eigenschaften wie Gier oder Geiz.

Auf ihren Streifzügen durchs Salzkammergut und Hausruckviertel waren die beiden auch immer auf der Jagd nach alten Möbeln, Geschirr oder anderen Antiquitäten, die sie einfachen Leuten meist außerordentlich billig abkaufen konnten, da damals noch die Wenigsten Sinn für „altes Glumpert“ hatten. Besonders wichtig war dabei aber auch immer die Suche nach geeigneten Immobilien, viele Häuser und Grundstücke besichtigten sie gemeinsam – für Thomas Bernhard Zerstreuung, für Hennetmair war’s Beruf. In das Jahr 1972 fällt auch Bernhards dritter Hauskauf, nämlich der des „Hanspäun“ in Ottnang, dessen Besichtigung, Erwerb und beginnende Renovierung wir als neugierige Leser mitverfolgen können.

Das Bild, das Hennetmair hier von Thomas Bernhard zeichnet, ist das eines Naturburschen, der auch schwere körperliche Arbeit nicht scheut – dafür lästige Germanisten und Kulturschickeria umso mehr – und sich auch durch Wind und Wetter nicht von seinen stundenlangen Spaziergängen abhalten lässt; der Realitätenvermittler hält mit. Und überliefert uns Bernhards Unfall aufgrund leichtsinniger Handhabung einer Kettensäge ebenso wie seinen erfolgreichen Kampf gegen eine Salzburger Gesellschaft, die in Nathal nach Öl bohren wollte – eine unerträgliche Belästigung für die Anrainer.

Nicht zuletzt ging nahezu sämtliche Post an Thomas Bernhard durch Hennetmairs Hände, oft spielte er Briefträger für den Dichter oder gab für ihn Telegramme auf. Die Querelen mit Verlagen und Theaterdirektoren waren ihm bekannt – und natürlich auch Thomas Bernhards Reaktionen darauf. Drei Preise waren dem Dichter allein in diesem Jahr verliehen worden: der Grillparzer-Preis, der Grimme-Preis und der Franz-Theodor-Csokor-Preis des österreichischen P.E.N.-Clubs. Hennetmair intervenierte für eine Verleihung des Stifter-Preises, während sie bereits über die Aufteilung des Nobelpreises witzelten …

Die interessanteste Passage des Tagebuchs ist wohl die Schilderung des Skandals bei den Salzburger Festspielen. Regisseur Peymann hatte nach der Uraufführung von „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ alle weiteren Vorstellungen abgesagt, natürlich sehr zum Ärger der Festspielleitung und eigentlich wegen einer Lappalie: Er bestand bei einer Szene auf einer zwei-minütigen Abschaltung der Notbeleuchtung im Theater, was ihm aus feuerpolizeilichen Gründen nicht gestattet wurde. Daraufhin streikte das gesamte Ensemble. Bernhard nimmt hier allerdings eher die Rolle eines Vermittlers ein, der sich zunächst (erfolglos) um das Zustandekommen weiterer Aufführungen bemüht und schließlich nach mehreren Monaten des Prozessierens zwischen Festspielleitung, Regisseur und Schauspielern ein Einstellen des gerichtlichen Verfahrens erwirkt. Ein Skandal kommt ihm nur dann so wirklich gelegen, wenn es um inhaltliche Belange seiner Bücher geht.

Auffällig ist Hennetmairs gutes Gedächtnis, die Umstände seines Schreibens waren nämlich nicht die günstigsten: Er hatte selten Gelegenheit, Notizen zu machen, ohne den Argwohn des Dichters heraufzubeschwören, und je mehr Zeit er mit Thomas Berhard verbrachte – oft war es ein ganzer Tag bis spät am Abend – desto schwieriger wurde es, das Erlebte festzuhalten. Nicht zuletzt aus Zeitgründen, und so war der „Realitätenvermittler“, der nun uns Lesern tatsächlich recht private Versatzstücke aus der Realität eines Dichterlebens vermittelt, manchmal recht froh, wenn er Thomas Bernhard eine Weile „loswerden“ konnte. Und hier steigert sich das Unbehagen, das die Lektüre schon seit geraumer Weile begleitet hat. Hier wird ein Freund verraten, wird zum Objekt „zukünftiger Bernhard-Forschung“, der man Hintergrundinformationen überliefern will. Hennetmair erzählt für die Nachwelt, bleibt „Realitätenvermittler“ auch in seinem Tagebuch, das übrigens stellenweise durchaus selbst literarische Qualität für sich beanspruchen kann – und sicher auch will. Etliche Gmundner Bekannte wollten mit Thomas Bernhard protzen – zu dessen Lebzeiten. Das tat Hennetmair nie.

Das Tagebuch 1972 lag versiegelt beim Notar in Gmunden und wurde jetzt erstmals veröffentlicht. Ob Thomas Bernhard von seiner Existenz etwas ahnte, werden wir nie erfahren. Hennetmair vermutet es und deutet das Schweigen darüber als stilles Einverständnis. Das wäre natürlich in seinem Sinne, da müsste er sich nicht als Agent der Literaturwissenschaftler fühlen und könnte seine damit erlangte Bekanntheit auch noch mit gutem Gewissen genießen. Und wir Leser haben sowieso keines – wir sind ja bekanntlich ohnehin Voyeure. Und weiden uns an dem spannend aufbereiteten Privatleben eines Dichters, das uns eigentlich gar nichts angeht.

Karl Ignaz Hennetmair Ein Jahr mit Thomas Bernhard
Das versiegelte Tagebuch 1972.
Transkription: Johannes Berchtold, Fritz Simhandl.
Salzburg, Wien: Residenz, 2000.
592 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-7017-1207-7.

Rezension vom 29.12.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.