Auch das jüngste Buch von Walter Wippersberg ist demnach auf den ersten Blick ein (politisch freilich ganz korrekter) Zeitroman mit Thriller-Elementen, wobei jene üblichen Verschlüsselungen (beispielsweise bei Personennamen oder Parteibezeichnungen) vorgenommen werden, die als ausreichend literarisierend gelten, um bei aller Deutlichkeit der Aussage den Rahmen der Real-Fiktion nicht in Richtung Journalismus zu sprengen. Offensichtlich hält man seit Josef Haslingers Opernball-Erfolg kriminalistische Prosa-Genres in besonderer Weise für geeignet, die herrschenden gesellschaftlichen Zustände in Österreich darzustellen, und überläßt dieses Themenfeld nicht mehr von vornherein den bisher gebräuchlicheren Ausdrucksformen wie Kabarett oder Essay.
Erst auf einen zweiten Blick hin wird einem aber das im Grunde utopische Unterfangen bewußt, mit dem man konfrontiert wird, liefert der Autor doch nicht nur eine mehr oder weniger bekannte Bestandsaufnahme, sondern entwirft darüber hinaus vor allem ein mögliches Bild der künftigen politischen Landschaft, wie sie sich im 21. Jahrhundert nach einer völligen Reorganisation und terminologischen Neufassung dessen, was jetzt „rechtspopulistisch“ heißt, präsentieren könnte.
Das, was die Vorstellungskraft sowohl von Gegnern als auch Anhängern etwa eines Jörg Haider momentan noch bei weitem übersteigt, wird parabelhaft anhand der Frau Dr. Hildegard Beranek-Schnötzinger durchgespielt, ihres Zeichens Gymnasialdirektorin um die fünfzig, die als Schnell-Quereinsteigerin einen intensiven, letztlich siegreichen Wahlkampf für die sogenannten „Demokraten“ führt.
Es handelt sich dabei um die Nachfolger einer nicht näher bezeichneten Vorgängerpartei, deren latentem Nazismus der (seltsamerweise sogar in den Dialogen und erlebten Reden der Figuren stets namenlos bleibende) „neue Chef“ offiziell abgeschworen hat, weil viele der „gedanklichen Reste aus dem Nationalsozialismus […] ohnehin zur rechten Verbal-Folklore verkommen seien“ (S. 27). Direktorin Beranek zur Seite steht Axel Kessler, ein typischer, fünfundzwanzigjähriger Studienabbrecher, der von einer großen Karriere als Saxophonist träumt, sich bis dahin jedoch als Mietwagenfahrer verdingen muß und so, mehr oder weniger unfreiwillig, auf die Lohnliste der „Demokraten“ gerät. Ohne zu durchschauen, wie und was ihm wirklich geschieht, verfängt sich der naive Optimist unweigerlich in den Grabenkämpfen zwischen verschiedenen Interessensgruppen innerhalb des Parteiapparats bzw. ihres spionageringartigen „Sicherheitsdienstes“ (S. 20) und geht zugrunde.
Da der Leser von Axels späterem gewaltsamen Tod bereits auf der ersten Seite des Romans erfährt, und der auktoriale Erzähler sich auch in der Folge kaum einmal zurückhalten kann, in zahlreichen eingeklammerten (!) Textpassagen immer gleich mitzuteilen, was der letztendliche Ausgang der geschilderten Aktionen ist oder welche Handlungen andernorts gerade gesetzt werden, um die expliziten Absichten der Protagonisten zu desavouieren, wird der Spannungsaufbau, welcher der Geschichte zugrunde liegt, unterhöhlt. Das geschieht zugunsten einer Dramaturgie, die technisch wohl an Filmschnitte erinnern soll (Wippersberg ist nicht von ungefähr Drehbuchautor und Regisseur), inhaltlich aufgrund des oft prophezeiungshaften Charakters der Einschübe jedoch nicht schlüssig auf Filmkonventionen umzulegen ist. Überhaupt erinnern die dauernden, mitunter umständlich formulierten Einmischungen des Erzählers ein wenig an Johannes Mario Simmels Manier, zeitgeschichtliche Zusammenhänge auf Ursache-Wirkung-Modelle zu reduzieren, was aus didaktischer Sicht zwar reizvoll, insgesamt aber nicht glaubwürdig ist. Die Art der Aufklärung, die hier erfolgt, leidet zudem an der Unentschiedenheit, wem sie eigentlich zugute kommt: Hat Wippersberg zur Abschreckung für die potentiellen „nützlichen Idioten“ geschrieben, auf daß sie sich rechtzeitig besinnen mögen; oder hatte er gar die potentiellen „Demokraten“ im Visier? Es ist jedenfalls zu befürchten, daß Bücher wie das vorliegende beide Publikumsgruppen nicht erreichen, weil sich die ersteren vielleicht ungern mit einem jungen Mann identifizieren wollen, dem von Anfang an keine Überlebenschance eingeräumt wird, und weil sich die letzteren sowieso wenig mit (kritisch-engagierter) Literatur abgeben.