#Roman
#Debüt

Ein schönes Ausländerkind

Toxische Pommes

// Rezension von David Hoffmann

Mit ihrem autofiktionalen Debütroman Ein schönes Ausländerkind hat sich die als Toxische Pommes bekannte Social-Media-Großmeisterin nun an ein etwas älteres Medium gewagt. Sie erzählt darin von der Kindheit in einer Familie, die aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Österreich flieht, und spürt mit Sprachwitz den Konsequenzen von Integrationsdynamiken innerhalb einer Vater-Mutter-Kind-Beziehung nach. Um nicht an rassistisch-klassistischen Bürokrat:innen und Lehrer:innen zu scheitern, muss sie mehr liefern und eine „gute Ausländerin“ sein, was jedoch auf Kosten ihrer Beziehungen zu den nächsten Verwandten geschieht.

Im Prolog arbeitet die Erzählerin als perfekt integrierte, aber unglückliche Vertragsbedienstete in einer Wiener Behörde: „Ich hatte meinen Teil des Integrationsversprechens eingehalten. Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreich wegintegriert.“ (S. 13) In diesem Aufhänger baut sie sich unter ihrem Bürotisch ein Bett und die Autorin bereitet den Rückblick in die Kindheit vor, der den restlichen Roman ausmacht. Die vergnüglichste Kunstform innerfamiliärer Narrative, die Anekdote, wird hierbei in kleine pointierte Erzählungen gepackt, die das Bild einer Fremdwerdung durch Anpassung offenlegen. Das Fremdsein und die Frage nach der Zugehörigkeit ziehen sich als Motive durch den Roman: sowohl auf der Gegenwartsebene in der Arbeit (lediglich der Prolog spielt in der Gegenwart) als auch im Rückblick in der Schule, der Familie oder der Heimat. Wo auch immer letztere sein mag, denn die Autorin konstatiert an einer Stelle: „Nun weiß ich nicht, ob es mehr wehtut, aus seinen Wurzeln gerissen zu werden oder niemals Wurzeln geschlagen zu haben.“ (S. 64)

Die Entwurzelung nimmt jedenfalls in Kroatien ihren Anfang: „Freunde und Nachbarn waren zu Ethnien und Religionen geworden.“ (S. 19) Diese Auflösung bringt das ursprünglich aus Serbien und Montenegro stammende Elternpaar dazu, mit ihrer Tochter Rijeka zu verlassen. Sie fliehen vor dem Jugoslawienkrieg nach Wiener Neustadt, wo ihre Identitäten weiter durch provinzielle Nationalismen österreichischer Fasson fragmentiert werden. Denn die junge Protagonistin findet sich in einer Situation wieder, in der sie ihren Status als Migrantin angesichts der Macht ignoranter Kleinbürger:innen kompensieren muss. Obwohl sie in der Schule ausgezeichnete Leistungen erbringt und Klassenbeste ist, sollen Herkunft, Erstsprache oder Sympathie über den schulischen Verlauf entscheiden, zumindest wenn es nach den Lehrenden geht.

Dank der Mutter können sie sich finanziell durchschlagen. Oft stellt sie sich schützend vor das Kind und überblickt die Lage. Anfangs putzt sie bei einer Familie, deren Nebenhaus sie mit ihrer Familie bewohnen darf. Unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft scheint sich die „Gastgeberin“ so den Wunsch nach Bediensteten zu erfüllen. Das Leben der Mutter ist nun von Essen kochen, Putzplan und ihrer neuen Tabaksucht bestimmt. Die Tochter, für die keine Zeit mehr bleibt, leidet darunter. Sie verbringt zunehmend mehr Zeit mit dem Vater, als allen klar wird, dass sie in diesem Land bleiben müssen: „Dass sich der temporäre Verlust ihres Lebens in einen dauerhaften zu verwandeln drohte, darunter litt vor allem mein Vater lange Zeit.“ (S. 63) Er darf seinen gelernten Professionen nicht nachgehen und erduldet die behördlich auferlegte selbsterfüllende Prophezeiung der Quotenregelung für Arbeitsplätze (die die maximale Zulassung ausländischer Arbeitskräfte vorgibt); selbsterfüllend ist sie, weil sie aus arbeitswilligen Menschen arbeitslose Ausländer:innen macht. Folglich verliert er sich zuerst in Hausarbeiten, womit er „versehentlich zum Feministen“ (S. 39) wird, mit den Jahren verschwindet er immer mehr in der digitalen Welt. Der Vater, der die Protagonistin liebevoll „mein Söhnchen“ nennt (S. 79., S. 127), wird von ihrem besten Freund, mit dem sie spielt, von dem sie lernt, zu einem, der seine Sprache und Lebensfreude einbüßt.

Im selben Maße, wie sich die Protagonistin integriert, wird sie scheinbar dem Vater fremd. Einen der Höhepunkte des Romans bildet die Relativierung ihres urteilbehafteten Blicks auf ihn, als sie ihn beim Besuch der Verwandten in Serbien beobachtet. Er wirkt wie ausgetauscht, spaziert „wie ein englischer Sir“ durch die Straßen, ist plötzlich „Schulkamerad, Freund, Bruder und Sohn“ (S. 164). Ein Perspektivwechsel, der in der Prüfung zur Einbürgerung kulminiert, wo der Vater wider Erwarten die für die Integrationsprüfung zuständige Person bezirzt. Dass diese Dudaschek heißt, verdeutlicht abermals die absurde Dimension Nationalidentitäten herbeizaubernder Institutionen.

Zum Abschluss des Integrationsprozesses ganz am Ende des Romans geht die Familie mit positivem Bescheid fesch gekleidet (Edelweißmotive und Holzknöpfe inklusive) in ein gutbürgerliches Café in Wiener Neustadt. Eine amüsante Szene, die gut ohne die hintanstehende dreizeilige Abschlussanalyse ausgekommen wäre, in der nochmal der Preis der Migration für die jeweiligen Familienmitglieder aufgezählt wird.

Die innerfamiliären Gespräche finden in B/K/M/S (Bosnisch / Kroatisch / Montenegrinisch / Serbisch) statt und werden im Fließtext in Klammern ins Deutsche übersetzt. In den Fußnoten finden sich neben Erläuterungen, die gerne mit gewitzten Kommentaren versehen werden, Beteuerungen (z. B. Pussy, die Katze, „hieß wirklich so“, S. 69) sowie eine Entschuldigung: „Lieber Fritz, solltest du das hier zufällig lesen: Es tut mir wirklich leid.“ (S. 80) Damit ist der Schuss mit dem Fußball in die Hoden des schlechtesten Mitschülers gemeint, den die junge Protagonistin aus Wut auf ihre Situation und Neugier auf die Konsequenzen einer solchen Tat wagt.

Der Stil bleibt durchwegs klar und gewitzt. Oftmals ist von sich wiederholenden Gepflogenheiten der Figuren (Vater, Mutter, Kind) die Rede („Jedes Mal, wenn …“, „immer wenn …“), die in konkreten Szenen oder anekdotischen Varianten enden. Die Verhaltensweisen bleiben also beispielhaft. Die beiden Elternfiguren werden auf unterschiedliche Art in ihren jeweiligen familiären Hintergründen aufgestellt. Bei der Mutter dient dies als weiterer Rückblick, beim Vater als Kontrastfolie, was der Darstellung der Beziehung zu letzterem im Verlauf der Erzählung etwas mehr Tiefe verleiht.

Durch die autofiktionale Sicht schafft es Toxische Pommes, unterhaltsam zu erzählen, wie die gesellschaftspolitischen Umstände einer rassistischen Gesellschaft von einem Kind erfahren werden. Nicht zuletzt finden hierbei jene eine Erwähnung, die migrantischen Familien – in den 90ern, 00ern und auch heute noch – im Alltag das Leben schwer machen.

Es ist aber keine Abrechnung, sondern eine spaßige Konfrontation im Sich-Lustigmachen. Die Art des Humors verdeutlicht: Es gibt kein Fremdsein ohne Befremdlichkeit. Exemplarisch ist hier der Blick des Mädchens auf die verschrumpelten „rosa Zumpferl“ (S. 48) der Männer in der Schwimmbad-Dusche. Beobachtungen absurder Widersprüchlichkeiten ziehen sich durch die Erzählung, egal ob auf dem Amt oder in den Handlungen und Aussagen der Personen aus der Aufnahmegesellschaft. Sie treten besonders bei der Hörigkeit gegenüber vermeintlichen Hierarchien hervor. Die humoristische Ebene verdeutlicht sich zudem in überspitzten Vergleichen, so sehen einem Feuer knapp entronnene Barbiepuppen aus, „als hätten sie sich auf dem Villacher Fasching Pferdebetäubungsmittel gespritzt“ (S. 73).

Der Roman bedient sich somit gekonnt des dramaturgischen Kniffs der Auflockerung, um bedeutende Themen in der Folge kontrastiert hervortreten zu lassen. Die amüsanten Spitzfindigkeiten, die Leser:innen vielleicht vom Online-Auftritt von Toxische Pommes kennen, werden um die Dimension einer Kleinfamilienbeziehung innerhalb widriger gesellschaftspolitischer Umstände erweitert, was dem Roman Gewicht verleiht. Er bleibt hierbei nicht nur eine Geschichte der Fremdwerdung (sich selbst, dem Vater, der Welt gegenüber), sondern ist gleichermaßen eine tiefergehende Untersuchung der Beziehungen zueinander, den Ursachen der Stellungen sowie der Eskapismen von Menschen, die ihrer Wurzeln beraubt wurden. Der Autorin ist dabei auch ein empathisches Zeugnis der Anerkennung ihrer Protagonist:innen gelungen.

Die Eckpunkte sind aus der Migrationsliteratur bereits bekannt und jedes Kind, das in ein Auto in den Osten gesteckt wurde, kennt die riesige Vogelskulptur neben der ungarischen Autobahn vor Tatabánya, aber die hier eingenommene Perspektive, versehen mit dem Witz der Autorin, der Kritik an dem „Integrationsversprechen“ und die implizite Infragestellung tradierter Geschlechterrollen machen den Roman zu einem einzigartigen Leseerlebnis.


David Hoffmann
(aka dada hoffi), geboren 1985, wuchs in Österreich und Ungarn auf. Master der Philosophie an der Universität Wien, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Lebt als Schriftsteller, Sachbuch-Lektor und Performer in Wien. Produktion eigener Hörspiele. 2022 exil-lyrikpreis. Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung (GAV). Texter und Falsettsänger der Literaturpunkband Smashed To Pieces. Seit 2014 Veröffentlichungen in Magazinen und Anthologien (zuletzt Militär, ich wollte ja nie. Ein unvollständiger Bericht in: Literatur und Kritik meaoiswiamia Österreich, Otto Müller Verlag, Salzburg). Übersetzungen aus dem Ungarischen. Sein erster Gedichtband erscheint im Herbst in der Wiener edition exil. 

Toxische Pommes Ein schönes Ausländerkind
Roman.
Wien: Zsolnay, 2024.
208 Seiten, Hardcover.
ISBN 978-3-552-07396-8.

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Rezension vom 18.05.2024

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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