#Prosa

Ein Wortland

Peter Handke, Lisl Ponger

// Rezension von Petra M. Rainer

Die Fotografin Lisl Ponger und der Schriftsteller Peter Handke durchstreifen altösterreichisches Terrain; die entstandenen Bild- und Textspuren liegen nun, eingeteilt in die vier Abschnitte Kärnten, Slowenien, Friaul, Istrien und Dalmatien, in einem Band des Klagenfurter Wieser Verlags vor.

Im Abschnitt „Kärnten“ werden Textpassagen aus den letzten vier Jahrzehnten Fotos von Handkes Geburtsort Griffen und Umgebung, Greutschach, Rinkolach, Rinkenberg, Sorgendorf, Tanzenberg u. a. gegenübergestellt.
An den Ort der Kindheit und Jugend kehrt Handke gedanklich immer wieder zurück, obwohl ihn damals, an der Jukebox im „miefkalten und verrülpsten „Espresso-Stübchen an der Durchfahrtsstraße“ vor allem ein Gedanke beherrschte: „Gleich wohin einmal – nur Aufbruch!“ (S. 14)
Und so kommt es, daß in diesem Abschnitt Textausschnitte aus sämtlichen Schaffensperioden vertreten sind. Von Handkes erstem Roman „Die Hornissen“ (1966) über „Der kurze Brief zum langen Abschied“ (1972) zu „Über die Dörfer“ (1981), den „Versuch über die Jukebox“ (1990) bis zum opus magnum „Mein Jahr in der Niemandsbucht“ (1994).
Diese Texte zeigen Handkes Herkunftsgegend als Orte, die mit widersprüchlichen Gefühlen konnotiert sind. Sie erzählen von der großen, absoluten Geborgenheit der Holzhütten auf den Pachtäckern des Großvaters, aber auch von dem gar nicht romantisch-verklärtem Naturverständnis des Landkindes, das die Natur als rauhen Arbeitsplatz und nicht als ausgelassenes Wochenendvergnügen erlebt. Sentimentale Heimatgedanken („Ich erkannte, daß selbst im Karst das mitteleuropäische Grün mir gefehlt hatte; es war mir eingeboren.“, S. 29) werden von dramatischen Fremdheitsgefühlen („kaltfremder Bezirk, fast ein Feindesland“, S. 35) abgelöst.

Im Abschnitt „Slowenien“ folgen vor allem Auszüge aus „Die Wiederholung“ (1986), jenem Roman, der vom zwanzigjährigen Filip Kobal erzählt, der sich auf die Suche nach seinem verschwundenen Bruder begibt. Die Suche führt ihn vom südlichen Kärnten nach Slowenien. „Die Wiederholung“ thematisiert ihren Titel auf mehrfache Weise (Wiederholung des Bruders, Wiederholung dieser Fahrt im Roman fünfundzwanzig Jahre später usw.), und so kann man Pongers Fotos als weitere Wiederholung lesen: Die Bilder zeigen u. a. Maribor, Jesenice, Bistrica, Soca, Kobarid, Dutovlje und den Karst.
Die Textpassagen beschreiben die slowenische Landschaft, oft im Kontrast zur heimatlichen. Und sie reflektieren die beiden Sprachen, streuen immer wieder Übersetzungen ein, z. B. für Flußnamen oder für einzelne basale Lebensmittel. So wird der Leser hinüberversetzt in die andere, die slowenische Welt, die sich ihm dann auch in Pongers konkreten Bildern zeigt. Beispielsweise wird die Textstelle über den Karstwind ([…] Dieser Wind ist nicht bloß, wie er unten vom Meer kommt, ein Aufwind: Er greift einem, ungeheur sanft, unter die Achseln, so daß der Gehende, auch wenn er sich ihm entgegenbewegt, sich von ihm transportiert fühlt.“, S. 97) ganz wörtlich in ein Bild desselben Titels übertragen.

„Friaul“ bringt ebenfalls Auszüge aus Werken der letzten zehn Jahre, die, wie kleine Schnappschüsse, Reiseerinnerungen festhalten: Den „Jukebox-Parade-Ort“ Casarsa, die friaulischen Glühwürmchen, ein Sommergewitter. Der schreibende Reisende bleibt außenstehender Beobachter, er mischt sich nicht ein ins Leben der fremden Städte, und so sind auch die Bilder der Fotochronistin auffallend menschenleer. Die wenigen dennoch Abgebildeten huschen schnell aus dem Bild oder zeigen eine Schattensilhouette. Fotografiert wurde in Gemona, San Daniele, Casara, Brazzano, Redipuglia, Aquilea, Montfalcone, Gorizia, Sagrado u. a.

Der vierte und letzte Abschnitt, „Istrien und Dalmatien“, bringt ebenfalls Textstellen jüngeren Entstehungsdatums, besonders aus der „Niemandsbucht“. In diesem Roman hat der Erzähler kein Bedürfnis mehr zu reisen, stattdessen verfolgt er die Reisen seiner sieben fernen Freunde. Und so paßt es gut, daß gerade einige Zitate aus diesem Roman die vorliegende Publikation beschließen. Pongers Fotos zeigen Piran, Strunjan, Pazin, Dubrovnik und Ston. Immer wieder Hafengegenden, Symbole des Abschieds und der Freiheit. Orte der Geborgenheit, die das Wissen um Abenteuer und Wildheit in sich tragen.

1966 provozierte der 24jährige Handke in Princeton bei der Tagung der Gruppe 47, als er seinen Kollegen „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. Wie es der Autor selbst mit dem Beschreiben hält, kann anhand der Beispiele aus beinahe 30 Schaffensjahren verfolgt werden. Dicht am Empfinden des (Ich-) Erzählers wird die Umwelt erschlossen – subjektive Kameraführung, könnte man sich einen Ausdruck aus der Filmbeschreibung entlehnen.

Peter Handke, Lisl Ponger Ein Wortland
Eine Reise durch Kärnten, Slowenien, Friaul, Istrien und Dalmatien.
Klagenfurt / Celovec: Wieser, 1998.
231 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85129-257-X.

Rezension vom 13.01.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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