#Sachbuch

Erich Fried. Eine Chronik

Christiane Jessen, Volker Kaukoreit, Klaus Wagenbach (Hg.)

// Rezension von Peter Stuiber

Der Wagenbach-Verlag hat aus Anlaß des zehnten Todestages von Erich Fried eine Sonderausgabe der Werke herausgegeben. Zum „wahrhaft demokratischen Preis“ (so der Verlag) von knapp öS 500,- erhält man den „ganzen Fried“. Die Bände sind textident mit der normalen Werkausgabe, bis auf eine kleine Ausnahme: „vergessen“ hat man auf die Chronologie zu Leben und Werk, die im Anhang des vierten Bandes der Standardausgabe zu finden ist. Sie wurde mit autobiografischen Texten, Gedichten, Fotos und Zeugnissen von Freunden und Kritikern ausgestattet und ist nun als biografisches Lesebuch zugleich mit der Sonderausgabe der Werke erschienen.

Zu Erich Frieds Leben sind gerade in den letzten Jahren bemerkenswerte Bücher publiziert worden, so etwa Erich Fried. Ein Leben in Bildern und Geschichten und der Band Am Alsergrund über die Wiener Jugendjahre des Schriftstellers. In der vorliegenden Chronik findet man daher hauptsächlich Bekanntes. Die gängigen Fried-Fotos wurden ebenso aufgenommen wie oft zitierte autobiografische Texte und schon veröffentlichte Zeugnisse von Zeitgenossen. Zusammen ergibt sich daraus ein anschauliches Porträt eines engagierten Schriftstellers, dessen privater und künstlerischer Lebensweg immer von geschichtlichen Ereignissen markiert war; das biografische Lesebuch zu Fried ist somit gleichzeitig eines zur Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sei es die Vertreibung aus der Wiener Heimatstadt („Die mir die Gärten meiner Stadt versagen / die Bank im staubigen Grün am Kai / sie haben mir den Vater totgeschlagen / daß ich ins Freie komm und Frühling seh.“, S. 32), der Krieg in Vietnam (Peter Rühmkorf über den Gedichtband und Vietnam und: „jedes dieser Gedichte [läßt sich] auf seine Art als Dechiffriergerät verwenden“, S. 73) oder der Fall Ulrike Meinhof („Mord durch Gehässigkeit / Mord durch Unrecht / den keiner mehr Mord nennt“, S. 92): Stets reagierte Fried auf politische Ereignisse, bezog Position, selbst wenn er für sein Engagement heftig kritisiert oder gar belächelt wurde. Christa Wolf über ihn: „Der sich auf alles einließ, sich nicht schonte, nicht aufsparte, weder für ein Werk noch für ein auf sich selbst konzentriertes Leben. Wie falsch wäre es, dich für naiv und arglos zu halten.“ (S. 124)

Sein „öffentliches Leben“ gab Fried auch dann nicht auf, als er schon mit einem schweren Krebsleiden zu kämpfen hatte. Im Herbst 1988 war er wieder auf Reisen durch Deutschland, „wie jene Wanderrabbis, die einst predigend und agitierend durch Palästina zogen“ (Marcel Reich-Ranicki in seinem Nachruf in der FAZ,
S. 123), zuletzt bei Dreharbeiten für eine Sendung über die „Reichskristallnacht“. Am 22. November starb Erich Fried in Baden-Baden; am 9. Dezember wird er am Londoner Friedhof „Kensal Green“ begraben. Die Grabinschrift, der Anfang des Gedichtes „Vielleicht“, lautet: „Gedichte / die viel zerstörbarer sind / als Stein / werden vielleicht / mein Haus aus Stein / überdauern“.

Sicher überdauert hat sein Werk die ersten zehn Jahre nach seinem Tod. – Die vorliegende biografische Chronik ist als Ergänzung zur „neuen“ Werkausgabe wertvoll und ein Lesebuch im besten Sinne: selbst lesenswert und zum Weiter- und Wiederlesen anregend. Nicht viel Neues für Fried-Kenner, aber viel für jene, die es noch werden wollen.

Christiane Jessen, Volker Kaukoreit, Klaus Wagenbach (Hrsg.): Erich Fried Eine Chronik. Leben und Werk: Das biographische Lesebuch.
Berlin: Wagenbach, 1998.
127 Seiten, broschiert.
ISBN 3-8031-2323-2.

Verlagsseite mit Information über Buch und Autor

Rezension vom 23.11.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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