Celan umreißt in seinem ersten Schreiben nur stichwortartig sein neues Leben, erzählt von Frau Gisèle und Söhnchen Eric, doch es sind Erinnerungen, Anspielungen, verschwiegene Gemeinsamkeiten, versteckte Botschaften und Berichte. Wie einer der nächsten Briefe, der den Freund erreichte, in welchem Celan von seinem Plan berichtet, aufs Land zu fahren, „in die Normandie, in einen kleinen Ort zwischen Nonancourt und Damville, wo es ruhig ist und wo es einfache, wirkliche Menschen gibt, darunter einen alten Schafhirten aus Huesca, einen mit den repubikanischen Flüchtlingen in die Normandie verschlagenen Spanier“…; und – er schickt dem Freund die versprochene, sehnsüchtig erwartete Literatur, Dichtung und Botschaften zugleich. Einhorn, sofern er nicht schon zuvor alles in der Sowjetunion von Celan Erreichbare aufbewahrt und gesammelt hatte, fand später in der Niemandsrose unter anderen das Gedicht Dreizehnter Feber. Im Herzmund/ erwachtes Schibboleth. Mit dir/ Peuple/ de Paris. No pasarán.// Schäfchen zur Linken: er, Abadias/ der Greis aus Huesca, kam mit den Hunden/ über das Feld, im Exil/ stand weiß eine Wolke/ menschlichen Adels, er sprach/ uns das Wort in die Hand, das wir brauchten, es war/ Hirten-Spanisch, darin…“. Der Freund mag es als Lebensspur verstanden haben, so wie auch ein anderes Gedicht aus dem Band Von Schwelle zu Schwelle, dessen zweite Strophe – geschrieben acht Jahre nach ihrem letzten Zusammentreffen und sieben Jahre vor der ersten, wieder aufgegriffenen Korrespondenz – lautet: „Einhorn:/ du weißt um die Steine/ du weißt um die Wasser/ komm,/ ich führ dich hinweg,/ zu den Stimmen von Estremadura“. Daß er, der Freund das erste Wort als Namen las, wer möchte es ihm verdenken? Daß es weit mehr ist und sich von dieser Botschaft völlig emanzipiert hatte (was erst recht der gerade bei Suhrkamp erschienene Briefwechsel Celans mit seiner Frau Gisèle Lestrange bestätigt), wir sollten es uns – entgegen so mancher biographistisch inspirierter Celan-Interpreten – immer wieder ins Gedächtnis rufen.
Celans Lyrik, so hermetisch sie uns entgegentritt, sie war nur in den wenigsten Fällen auch in der veröffentlichten Version ein Geheimsender an Freunde, eine Botschaft zwischen den Wenigen, Vertrauten, die der Autor allerdings umsomehr brauchte, als er – fast überempfindlich geworden und, während der Goll-Affäre, tatsächlich in furchtbarer Weise angegriffen und verleumdet – sich in seinem Sprach- und Lebensexil einer geistigen Heimat versichern wollte. So gehören auch die wenigen Korrespondenzen mit seinem Moskauer Freund zu einem aus der Not geborenen Dialog, der stets nur leise Stichworte benötigte, um sich des gemeinsam Erlebten und des gemeinsam Empfundenen zu versichern. Was daran am nachhaltigsten fasziniert ist, daß es vor allem ein Gespräch über Dichtung war. Nicht nur für Philologen dürfte es ein ausgesprochenes Geistesvergnügen bereiten nachzulesen, wie beide sich über Worte und Wendungen Gedanken machten, wie über Veröffentlichungsorte, Publikumserwartungen, Kontexte, wie über Botschaften und Subtexte diskutiert wurde. Und – Erich Einhorn war auch ein zuverlässiger Freund, wenn es um die korrigierende Lektüre von Übersetzungen ging. Für Celans Jessenin-Übersetzung gab Einhorn unter anderem zu bedenken, ob nicht statt „Staude“ doch eher „Strauch“ oder „Busch“ zu setzten sei, er machte Celan auf eine übersehene Zeile aufmerksam, wollte bisweilen den Ton verändert sehen und lobte insgesamt den alten und nun verehrten Gefährten für dieses „gewaltige Stück Arbeit“. Für Celan muß dies Balsam auf seine Wunden gewesen sein, denn nicht zuletzt war er gerade wegen dieser Übertragungen von namhaften Kritikern angegriffen worden.
Daß wir das alles in einer schönen Ausgabe der Friedenauer Presse als kleinen, wie stets in diesem Verlag bibliophilen Druck in den Händen halten können (für Germanisten war der Briefwechsel schon, mit etwas ausführlicheren philologischen Anmerkungen versehen, im Celan-Jahrbuch 1997 abgedruckt gewesen), ist eine Lesefreude und dürfte gerade in Verbindung mit dem hervorragend kommentierten Briefband Celan/Celan-Lestrange sowie der Rekonstruktion der Goll-Affäre durch Barbara Wiedemann ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des Lyrikers sein. Als die Korrespondenz 1967 ebenso plötzlich versandet, wie sie begonnen worden war, sind nicht nur zwei Menschenleben, sondern auch uns ein Teil der Celanschen Dichtung, die uns oft so fremd und befremdlich erscheinen mag, nähergerückt. Nicht zuletzt werden es solche Lebenszeugnisse sein, die die Lektüre von Celans so kristallinen Gedichten zu einer immer wieder sich neu differenzierenden Erfahrung machen.