#Sachbuch

"Es gibt für mich keine Zitate"

Joachim Eberhardt

// Rezension von Doris Koller

Schon der Titel „Es gibt für mich keine Zitate‘. Intertextualität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns birgt einen scheinbaren Widerspruch, der neugierig macht. Die Untersuchung setzt sich mit der Diskrepanz zwischen der zitierten Selbstaussage der Autorin und dem Intertextualitäts-Hype im „Fall Bachmann“ auseinander. Intertextualität sei „das Zauberwort einer interpretierenden Zunft, der bereits eine ungefähre Ähnlichkeit genügt, einen Bezug festzustellen“.

Eberhardt korrigiert bestimmte Einfluß-Mythen der Bachmann-Forschung indem er nachweist, daß der Autorin manche Prätexte, auf die sie sich angeblich bezieht, kaum zugänglich waren. An bisherigen Untersuchungen tadelt er den Ansatz, das „Denken“ Bachmanns rekonstruieren zu wollen, wo es doch um ihr „Schreiben“ gehen sollte. Er fragt nach der Bedeutung der Bezüge für die Texte Bachmanns und nicht nach der Einstellung der Autorin zu den Prätexten. Vorschnelle Annahmen sind nach Ansicht des Autors besonders dann entstanden, wenn Bachmanns eigene Literaturtheorie eins zu eins auf ihre Texte angewandt wurde. Eberhardt versucht dagegen, Bachmann nicht mit Bachmann zu interpretieren und geht der Frage nach, welche Funktion die angenommene Referenz im Text hat. Ausgehend von einem engerem Begriff von Texten wird deren Eindeutigkeit, Wahrscheinlichkeit, Prägnanz, Einbettung und Motivation untersucht.

Einerseits deutet der Autor bisherige Forschungen zum Thema nur als Verbreiterung, nicht aber als Vertiefung der Interpretation. An mancher Studie, die in die Tiefe geht, moniert er dann wieder, der Interpret höre die Flöhe husten oder lese Bachmann nur auf bestimmte Referenzen hin, um diese dann überzubewerten. So zeigt er z.B., daß die frühe Erzählung „Das Lächeln der Sphinx“ nicht von der kritischen Theorie beeinflußt ist, sondern vielmehr den konservativen Zeitgeist der Nachkriegszeit wiedergibt. Die – laut Autor fragwürdige – These vom Einfluß Adornos und Benjamins rühre daher, daß die Erzählung aus der Perspektive des Spätwerks gelesen wurde.

Auch die möglichen intertextuellen Celan-Referenzen im Gedichtzyklus „Ausfahrt“ (1952) interpretiert Eberhardt gegen den Strich – wenn er sie denn anerkennt und nicht als literaturwissenschaftliche Verselbständigung späterer Überlegungen beider LyrikerInnen zum dialogischen Gedicht abtut. So lobt er zwar „Bachmanns Emanzipation vom lyrischen Mainstream“, deutet aber die Bezüge zu Celan als literarische Themaverfehlung, als „lyrisches Mißverständnis“. Er diskutiert das Dilemma Bachmanns, mit fremder Stimme über ein fremdes Thema, den Holocaust, zu sprechen. Über die mythologische Komponente verharmlose sich das Zitierte in „Wie Orpheus spiel ich“. Die Studie widerspricht der Tendenz, Bachmanns gesamtes Schreiben als zumindest latente Auseinandersetzung mit der Shoa zu werten. Sie zeigt die Bewegung im „Denken“ Bachmanns weg von einer existentiellen Interpretation der Krise hin zu einer historischen – auch wenn sie das gerade nicht leisten will.

Weniger kryptisch, da markiert sind die Prätexte in zwei Erzählungen aus dem Umkreis von „Das dreißigste Jahr“, mit denen sich Eberhardt auseinandersetzt. In „Der Schweißer“ fungiert die Lektüre von Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“ zwar als Triebfeder, jedoch erfolge keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Prätext. Aufgenommen werde nur dessen revolutionärer Impetus, er fungiere als Klischee. Als Erzählung über eine Identitätskrise und über die Macht des Erzählens deutet Eberhardt „Ein Wildermuth“. Zwar lassen die theoretischen Reflexionen des Richters über Wahrheit philosophische Prätexte erkennen, doch heraufgerufen werde in erster Linie ein Diskurs über Wahrheit, der an konkreten Texten nur exemplifiziert wird.

Das Kapitel über den Motivraum und Zitatspender Musik geht der Frage nach, ob die Verweise auf Musik eine poetologische Dimension besitzen und ob der Ton bei Bachmann prinzipiell eine Chiffre sei, um Kunst zu reflektieren. In den Texten selbst findet sich wieder nicht nur eine Antwort: Diene Musik manchmal als Metaphernspender, so ist sie in anderen Gedichten Ausdruck der Sehnsucht nach Transzendenz, wobei das Verlassen der Welt nicht immer positiv bewertet wird. „Enigma“ referiert auf bestimmte Musikstücke von Mahler, Altenberg und Henze und führe die sinnkonstitutiven Möglichkeiten intertextueller Schreibweise in komplexester Weise vor.

Der Intertextualität in „Malina“ widmet die Untersuchung besonders viel Raum. Der Schwerpunkt liegt auf den Referenzen, die für den ganzen Text, aus dem sie stammen oder als Zeichen für etwas anderes stehen. Vorwissen sei meist nicht nötig, um die Referenz zu deuten, da das Wesentliche des Zitats das Zitierte selbst sei und aus wessen Munde es komme. Das „schöne Buch“, das das Ich verfassen will, wird in Anlehnung an Rimbaud ein „Buch über die Hölle“. Angeeignete Zitate dienen dem Ich als Andeutungen über den eigenen Zustand. Außerdem überprüft der Autor, ob und wie das für Bachmann wichtige Thema der literarischen Indiskretion intertextuell behandelt wird. Max Frischs „Gantenbein“ und Hans Weigels „Unvollendete Symphonie“ wertet er jedoch nicht als deutliche Referenz. Der Diskretion Bachmanns sei es zu verdanken, daß Bezüge zu Texten, denen sie „Indiskretion und Hochverrat“ vorwarf, kaum von Bedeutung sind.

Andere Referenzen thematisieren intertextuell den „Mordschauplatz Gesellschaft“. Diese weisen nach Ansicht des Autors Malina nicht als Inbegriff eines männlich-negativ kodierten Rationalitätsprinzips aus – ein Ansatz, den nach Meinung des Autors vor allem die feministische Bachmann-Forschung verfolge. Es gehe nicht um eine Polemik gegen den Positivismus à la Wittgenstein. Vielmehr kritisiere Bachmann seit ihrer Dissertation über Heidegger den Typ von Philosophie, der unzulässige irrationale Methoden benutzt. Worüber diese Philosophie schweigen müsse, davon kann die Literatur reden. Wittgensteins Spuren finden sich jedoch in dem, was Bachmann als das Gelernte bezeichnet – genaues Denken und klarer Ausdruck. Bachmann sei es nie darum gegangen, diesem oder jenem Philosophen zuzustimmen oder zu widersprechen. Es sei daher in erster Linie zu untersuchen, welche Funktionen die Referenzen für die Bedeutungskonstruktion des Romans haben.

An der bisherigen Forschung zum Thema kritisiert Eberhardt die uninterpretierte Mitteilung der vermuteten Referenz, deren Überbewertung (z. B. Frisch), den Gestus der Revision aller bisherigen Untersuchungen und die Übertheoretisierung unter Vernachlässigung der Textarbeit. Oft moniert der Autor auch, die Interpretation von Intertextualität bei Bachmann folge vorgefertigten Meinungen, was er besonders Sigrid Weigel vorwirft, wenn sie „Malina“ als Roman über weibliche Autorschaft interpretiert. Leider bleibt er dem Leser aber die Offenlegung seiner eigenen Prämissen schuldig, die es auch geben muß. Besonders oft weist er die Annahme von Celan-Referenzen zurück, wenn die entsprechende Textstelle auch textimmanent und nicht notwendigerweise mit Celan gedeutet werden kann. Die zum Teil in ihrer Absolutheit reduktionistische Absage an eine biographische Perspektivik, scheint eine dieser Prämissen zu sein.

In „Malina“ spricht das Ich über die Art, wie es Gelesenes aufnimmt. Es richtet sich gegen das Hängenbleiben ganzer Bücher. Vielmehr gebe es bestimmte Sätze und Ausdrücke, die es erregten, quasi ansprängen und im Gehirn immer wieder aufwachen würden. Ähnlich meint Bachmann in Interviews, es gebe für sie keine Zitate, sondern nur Stellen in der Literatur, die sie immer aufgeregt hätten. Ihre Zitate würden somit nur Gedanken ausdrücken, welche sie schon gedacht haben will, deren Formulierung sie aber erst im Gelesenen findet. Der Satz wird verwendet, weil er eine eigene Erfahrung ausdrückt. Allerdings kann Eberhardt diese Zitatkonzeption nicht an Bachmanns Texten bestätigen. Als deren Basis identifiziert er vielmehr eine Sprachskepsis, die gutes dichterisches Sprechen von den Phrasen des alltäglichen Sprachgebrauchs unterscheidet. Wie für Kraus war für Bachmann die Arbeit an der Qualität der Sprache und die Auseinandersetzung mit der durch den Nationalsozialismus korrumpierten Sprache ein moralisches Gebot.

Die Untersuchung zeigt in erster Linie, daß sich die vielfältigen Formen und Funktionen von Intertextualität bei Bachmann nicht unter eine einzige These subsumieren lassen. Dennoch kommt die Arbeit zu dem Schluß, daß genuin literarische Auseinandersetzungen kaum stattfinden. Das heißt, Intertextualität ist meist inhaltlich bestimmt und gilt primär dem im Prätext Gesagten und nur mittelbar dem Prätext selbst. Denn Bachmann geht es in erster Linie um die Auseinandersetzung mit der realen Welt. Von ihr und von den Erfahrungen in ihr sprechen auch die fremden Texte. Diese Verwandtschaft ist die – laut Autor oft einzig gültige – Motivation für die Referenzen in Bachmanns Werk.

Joachim Eberhardt „Es gibt für mich keine Zitate“
Intertexutalität im dichterischen Werk Ingeborg Bachmanns.
Tübingen: Niemeyer, 2002 (Studien zur deutschen Literatur. 165).
505 S.; brosch.
ISBN 3-484-18165-6.

Rezension vom 26.02.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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