Welches Bild zeichnet nun der im Göttinger Wallstein Verlag erschienene Dialogband „Es leben die Illusionen“ vom Autor? Peter Hamm, Lyriker, Kritiker, Dokumentarfilmer, besuchte Peter Handke im Frühjahr 2002 in dessen Haus in Chaville, einem Pariser Vorort, und einige Wochen später im bosnischen Visegrad, um ihn für ein von SWR und Arte in Auftrag gegebenes TV-Porträt zu interviewen. „Der schwermütige Spieler“ ist der Titel des sehenswerten Porträts, das anlässlich des 60. Geburtstags des Autors ausgestrahlt worden ist. Nun sind die „Gespräche in Chaville und anderswo“, so der Untertitel, auch in Buchform erschienen. Peter Hamm ist dabei mehr als ein bloßer Interviewer: ein geschickter Stichwortgeber, genauer Zuhörer, taktvoller Gesprächspartner, der – selber Autor und kenntnisreicher Leser – auf einer Stufe mit Handke steht.
Peter Handke erzählt in den Gesprächen von den Anfängen seines Schreibens während der Schulzeit, von den ersten Veröffentlichungen in der Kärntner Volkszeitung, und später, als das Studienende näher rückte wie ein Gefängnis und eine totale Ausweglosigkeit, vom Entschluss, es wirklich zu versuchen: „Und da habe ich aus dieser Kombination von Lust und auch äußerer Not neu angefangen zu schreiben und gedacht: wenn einmal im Leben – ich war so zwanzigeinhalb, einundzwanzig Jahre alt -, muß ich jetzt aufs Ganze gehen.“ Er erzählt von wichtigen Wegbegleitern wie Alfred Kolleritsch, Wim Wenders und Claus Peymann, und wundert sich, wie sehr er sich in seinem frühen Schreiben wiederfindet: „Ich lese meine ersten Erzählungen, und das ist dieselbe Haltung, um nicht das Wort ‚derselbe Geist‘ zu verwenden. Nicht genau, aber fast. Es ist der Rhythmus so ähnlich, wie die Sätze aufeinander folgen – es ist erstaunlich.“
In den Jahren seiner Salzburger Zeit entdeckt er das Übersetzen für sich, das, „viel ruhiger und viel weniger gefahrvoll und zugleich genauso lebendigmachend wie das sogenannte eigene Schreiben vor sich ging.“ Wichtig ist ihm, dass ein Übersetzer „die Bilder des fremdsprachigen Buches sieht und die eigene Sprache richtig laufen läßt.“
Es ist schön zu sehen, wie sehr Peter Hamm das Werk Handkes schätzt, wie genau er es kennt, wie er die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellt und damit Handkes Erzählfluss verstärkt und nur leicht lenkt, wie er Handke im Antworten inspiriert. Und dieser gibt nicht den bösen Phrasendrescher, als der er in den Medien oftmals bezeichnet wird, nein, Handke wägt ab, umschreibt und findet im beständigen Umkreisen seiner Sujets zu präzisen Formulierungen und genauen, freimütigen Bildern.
Literarisches Schreiben ist für ihn ein „Zur-Geltung-Bringen des Übersehenen“, der Platz des Schreibenden habe beim Menschen zu sein, beim Einzelnen, habe „nebendraußen“ zu sein, eine Formulierung des von Handke geschätzten Hermann Lenz. Nicht bei den Gewinnern sei sein Platz, nicht in den Chor eines von Medien und Politikern vermittelten einseitigen Weltbildes dürfe der Schriftsteller einstimmen. „Dieser Schriftsteller – das ist einer der dümmsten Sprüche über Schreiber -, dieser Mann oder diese Frau ‚hat etwas zu sagen‘. Ich habe überhaupt nichts zu sagen. Deswegen schreibe ich! Das macht mir schon Leute verdächtig, die etwas zu sagen haben. Das lese ich nicht. Ein ordentlicher Schriftsteller, der hat nix zu sagen. Der hat etwas zu schreiben. Der hat etwas zu schreiben, zu umschreiben, zu erzählen.“
Trotzdem dürfe die Literatur nicht abgeschlossen von der Gesellschaft dem Konzept des „l’art pour l’art“ frönen. Handke ist sich bewusst, dass er in der Gesellschaft lebt und schreibt, dass sie nicht wegzuleugnen ist. Schreiben ist für ihn ein schwermütiges Spiel, „eine Art, eine Form von Gebet“. Mehrmals verweist er in den Gesprächen auf die Mystiker, auch die deutsche Sprache bezeichnet er als „drachenhaft-mystische“.
Mit Thomas Bernhard gemeinsam hat er die Aversion gegen Österreich: „Es ist sicher auch in mir eine Art Disposition oder Prädisposition gegenüber einem gewissen Tonfall, gegenüber Blicken, Bemerkungen, eine Art von Reizbarkeit, die ich nicht überwinden kann.“ Zu Bernhards Werk meint er nur: „Mir gibt’s überhaupt nichts.“
Als die Rede auf sein Herzensland Jugoslawien kommt, das ihm einst als das mögliche ideale Europa erschienen ist, wird sein Ton schärfer, sein Habitus gereizter, schimpft er auf die westlichen Politiker. Dabei ist seine Motivation, über Serbien, über das Volk der Serben zu schreiben, eine äußerst redliche, aber von seinen Kritikern wohl ignorierte: „Keiner hat damals nach den Serben gefragt. Kein Mensch hat etwas über Serbien geschrieben in dem Sinne, dass er einfach erzählt hat, wie das Land ist, wie die Leute sind. Die Artikel, die ich las, waren von vornherein so, wie das die Politik vorgeschrieben hat. Das finde ich jetzt noch immer unerträglich. Dass kein Mensch erzählt hat: Wie bewegen sich die Leute auf der Straße? Wie verbringen sie den Abend? Oder wie bestellen sie ihre Felder? Wie sieht ihr Land aus?“ Dieses, sein Erzählen, gegen alle äußeren Widerstände immer wieder mutig durchzusetzen, seinen Platz als Schriftsteller zu verteidigen, der eben woanders liegt als der von westlichen Meinungsmachern und ein dezidiert poetischer ist, dafür gebührt Handke Respekt und Anerkennung.