„Wer etwas so Unpräzises wie Sprache zum Beruf macht oder zum Hobby, dem kann es nicht gut gehen, …“ (S. 65) So spricht Mascha, eine Prepperin, die Wasserkanister, Konservendosen und Batterien in einem Bunker stapelt, in sicherer Erwartung des Weltuntergangs. Mascha ist die Freundin des Ich-Erzählers und der schreibt zum Glück nur ein Wörterbuch der Verluste auf Karteikarten, keine Romane, die in den Augen Maschas ein Hilfeschrei oder bereits eine Diagnose sind. Die Faszination von Erfolgsgeschichten versteht der Erzähler ohnehin nicht, ihn interessiert, „auf wie viele verschiedene Arten und Weisen man scheitern kann“ (S. 66). Die Geschichten vom Verlieren, die er sammelt, geben ihm Halt. Die Erzählung einiger Jahre in seinem Leben, der wir hier folgen, hat keinen Anfang und kein Ende, denn „jeder Anfang ist eine Lüge. Und jedes Ende die Wahrheit, die wir auf später verschoben haben.“ (S. 198) Ob die Unentschiedenheit des Protagonisten ihm anzulasten ist oder dem Autor, lässt sich nicht eindeutig feststellen.
Der erotisch und überhaupt desorientierte Erzähler war Lehrer und macht jetzt irgend etwas mit einem Videospiel, in dem das erratische Verhalten der virtuellen Vögel zum Symbol des Scheiterns und des Erfolgs zugleich wird – die Spieler finden die außer Rand und Band geratenen Vogelschwärme gut. Bezeichnend, dass der Protagonist und Mascha sich in einem Birdwatching-Verein kennenlernen. Sie nimmt ihn in ihren Bunker mit, wo er den Weltuntergang, zu dessen Symptomen vom Himmel fallende Vögel gehören, überlebt, falls der denn tatsächlich stattfindet. So genau kann man das nicht wissen, wenn man drinnen sitzt, abgeschnitten von den Nachrichten und ohne Radioempfang. Bevor wir Gewissheit erlangen könnten, ist das Buch dann aber aus, der Autor erzählt uns nicht die Wahrheit über das Ende. Dass die Welt nicht mit einem Schlag untergehen wird, sondern am „Gegenteil von Massenhysterie“ (S. 49) dahinsiecht, ist gut beobachtet. Und dass es manchmal nicht wichtig ist, wer der Erste war: „Manchmal, und gerade im Fall des Bunkers, geht es darum, der Letzte zu sein.“ (S. 93)
Der Erzähler wurde vom Suizid seines Schülers Paul aus der Bahn geworfen, hat den Schuldienst quittiert und schlapft jetzt nicht gerade lösungsorientiert durchs Leben. Schon als Lehrer hat er sich wie ein Hochstapler gefühlt, und dass er nach den Sommerferien genau derselbe war wie im Schuljahr davor, empfand er als Enttäuschung. Jetzt gibt es für ihn eine Zeit vor und eine Zeit nach dem Tod des Schülers, seine Erinnerungen an ihn und die elektronischen Spuren, die ihn überleben, da es schwierig ist, Accounts löschen zu lassen. Seine On-off-Beziehung Sophia versucht, ihn mit Sex, Drugs und Rock’n Roll (metaphorisch gesprochen) zu trösten, kommt aber schnell an ihre Grenzen. Und nicht nur für Mascha, sondern auch für den Erzähler stellt sich die Frage, wen er beim Weltuntergang an seiner Seite haben möchte. „Es gibt einen Grund, warum Menschen von der großen Liebe sprechen. Weil es auch eine kleine gibt, eine mittelgroße und alle Abstufungen dazwischen.“ (S. 159)
Eine demente Mutter, von der er sich langsam und möglichst zu Lebzeiten verabschieden muss, instabile Freundinnen, Sex mit der Mutter seines toten Schülers und dann auch noch der Weltuntergang wegen dem Klimawandel – dieser Erzähler hat es wahrlich nicht leicht. Kein Wunder, dass er so viel Bier trinkt, hauptsächlich mit seinem Kumpel Julian und in einer Bar, in der ein Song aus den Lautsprechern kommt, der klingt, „als müssten wir morgen nicht aufstehen.“ (S. 15) Julian, der ein stressiges Leben als Arzt führt, könnte sich nie wie Mascha auf den Weltuntergang vorbereiten, da er es nicht einmal schafft, vor langen Wochenenden rechtzeitig einkaufen zu gehen. Er ist trotz eigenen Beziehungs- und Arbeitsproblemen ein Anker im Leben des Erzählers, aber auch er kann nicht immer für ihn da sein. Peichl gelingt es immer wieder, mit Wortspielen, Anspielungen auf historische Ereignisse und Überlieferungen aus seiner Erzählung, einem Roman des grauen Scheiterns, farbige Miniaturen herauszustanzen.
Maschas Bunker ist ein Rückzugsort, auch ganz ohne Weltuntergang. Die Prepperin bringt den Protagonisten dazu, sich erzählend seiner Vergangenheit und seinem mäandernden Leben zu stellen. Auch der Gedanke, hier eine Katastrophe zu überleben, ist ihm nicht ganz fremd. Mascha bleibt dabei als Figur immer etwas blass, vielleicht auch nur gut getarnt, wie ihr tierischer Side-Kick, eine Füchsin, die sie auf Spaziergängen begleitet und die ihr in ihr Haus folgt, die aber wie Mascha selbst auch einen unterirdischen Bau hat. Zuerst ist dem Erzähler diese Mensch-Tier-Beziehung nicht geheuer, aber er gewöhnt sich daran. Überhaupt haben die Tiere eine wichtige Funktion in diesem Roman. So erzählen sich die beiden das Märchen vom Brüderchen, das zum Reh wird, als es aus dem verwunschenen Brunnen trinkt – „ein einziger Tropfen reicht, um aus dem Menschen ein Tier zu machen“. (S. 36) Nur gut, dass beim Weltuntergang alle anderen Menschen weg sind, denn nach der Logik des Märchens hätte auch ein Tiger oder ein Wolf aus dem Brüderchen werden können.
Der Erzähler weiß um seine Schwächen und dass seine lose geknüpften Bande keinen Halt bieten. „An manchen Tagen bin ich mir nicht sicher, ob ich eine Aufmerksamkeitsstörung habe oder mich einfach nicht einlassen will. Auf diese Welt, dieses Leben.“ (S. 11) Dazu passt, dass er sich in Zügen besonders wohl fühlt, in diesem „Übergangsstadium zwischen Hier und Dort“ (S. 31). Im Zug fährt der Erzähler auch zu seiner Mutter in sein Herkunftsdorf und beobachtet an sich, dass sich seine Kindheit „als Spinnfäden über mein Gesicht und über meine Unterarme legt“ (S. 26). Vor allem aber sieht er Dinge, die er irgendwann katalogisieren sollte, seine Strategie gegen den Verlust. Das Dorf ist, wie so viele in der österreichischen Literatur, unterhöhlt, zumindest der Friedhof, auf dem der Rest der Familie liegt beziehungsweise langsam davonrutscht. „Es sind nur wir, die geblieben sind.“ (S. 181), das trifft auf die aussterbende Familie zu wie auf die beiden Menschen, die im Bunker vom Weltuntergang verschont bleiben – vielleicht.
Karin S. Wozonig, Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft, Anglistik/Amerikanistik und Germanistik an der Universität Wien und UCLA (USA). Publikationen zur deutschsprachigen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts und zur Chaostheorie. Zuletzt veröffentlichte Karin S. Wozonig in der Naturkunden-Reihe bei Matthes & Seitz Ratten. Ein Porträt (2024) und im Residenz Verlag die Biografie Betty Paoli – Dichterin und Journalistin (2024) sowie unter dem Titel Ich bin nicht von der Zeitlichkeit eine Auswahl an Texten von Betty Paoli. www.karin-schreibt.org