Anton Krohn ist nicht gerade auf der Erfolgsspur. Sein letzter Job in der Datenerfassung ist eine Weile her und endete eher traumatisch: „Mit jeder Eingabe habe ich mich einen Schritt weiter ausgelöscht“ (S. 7), versucht er beim Vorstellungsgespräch bei der Agentur Eternal Partners einen müden Witz. Auf der Suche nach einer Anstellung wird er dort vorstellig; die Agentur vermittelt stunden- und tageweise Personal an Hinterbliebene, die sich ihre verstorbenen Partner zumindest zeitweise zurückholen, kurz: den Tod besiegen, möchten.
Es ist eine der unseren Welt sehr ähnliche, durch die Krohn sich mit erschütternder Lakonie und fatalistischem Blick auf Beziehungen und Freundschaften laviert. Florian Gantner setzt böse kleine Spitzen, hingetupfte Hinweise, die eine latent unheimliche Atmosphäre erzeugen, deutet kleine Verschiebungen an, die eine beunruhigende Überlagerung auslösen. Krohns bester Freund zum Beispiel verdingt sich als „Lebende Zeitung“, liest vereinsamenden Pflegebedürftigen die Nachrichten vor. Es gibt „Hiobs-Boten“, die schlechte Nachrichten überbringen, und der Bedarf scheint hoch. Alles wirkt leer und seelenlos, echte menschliche Verbindungen sind schwer zu finden und noch schwerer zu halten.
Auf du und du mit den Vögeln
„Soviel ich mitbekommen habe, ist’s für Vögel seit ein paar Jahren kein Zuckerschlecken mehr da draußen“, (S. 35) sagt Krohn zu den Ziervögeln in einer Voliére in der Villa der Witwe Wilfing, seiner ersten Auftraggeberin. Ihr Gatte, CEO eines großen Unternehmens, hat das Zeitliche gesegnet – nun muss sich jemand um die wertvollen gefiederten Freunde kümmern. Gekleidet in feinsten Zwirn des Verstorbenen tut Krohn das, wozu er sonst unfähig ist: Den beiden Vögeln gegenüber, mit den klingenden Namen Orfeo und Eurydice ausgestattet und durch eine Glaswand voneinander getrennt, schüttet er sein Herz aus, lässt Zweifeln, Sorgen, Unverständnis der Welt gegenüber freien Lauf. In Arnos Haut zu schlüpfen, hat einen großen Vorteil, wie Krohn feststellt: Man hört ihm zu, wenn er redet, respektiert und fürchtet ihn sogar ein wenig.
Aus den zunächst vereinbarten Stunden werden schnell mehr – immer mehr Zeit fordert die Witwe Wilfing von Krohn ein, der sich in der Haut des Toten immer besser zurechtfindet, vielleicht sogar besser als es gut für ihn ist. Ein wichtiger Kunde aus Südamerika kommt zu Besuch, und Krohn soll den Wilfing nun auch in der und für die Firma geben. Dafür heuert die Agentur Eternal Partners gleich eine ganze Armada an Berater:innen an, die aus Krohn einen zumindest passablen Wilfing formen sollen, Nasenprothese und Familienessen mit Wilfings erwachsenen Kindern inklusive. Aus Anton wird Arno – das klingt sogar ähnlich.
Und je weiter die Wilfingisierung Krohns fortschreitend, desto mehr verliert dieser den Boden unter den Füßen und die Wahrnehmung für seine tatsächliche Umgebung und Familie. Seine Tochter Stella, die Hunde für Reality-TV-Formate abrichtet, ist ihm schon länger fremd; seine Frau Martha ist schwer erkrankt. Und das ist die Ebene, die Florian Gantner meisterhaft spielt: Die eigentliche Bedrohung kommt für Krohn nicht von außen, sondern von innen. „Mama sieht schlecht aus“, bemerkt Stella einmal, und Krohns Verwunderung ist echt: „Er fühlt sich ertappt. Hätte er bemerken sollen, dass sie wieder schlechter aussieht?“ (S. 85)
Auf beiden Augen blind
Vor der absehbar tödlichen Erkrankung seiner Frau verschließt Anton bewusst die Augen – und flüchtet sich in Wilfings Welt, die deutlich glamouröser scheint als die Situation zuhause. Als Arno hat er plötzlich etwas zu sagen: Motivationsreden vor der Belegschaft wollen gehalten, Golf spielen erlernt und Drinks mit der Witwe genommen werden. Allein Wilfings Sohn Julius entpuppt sich als Störelement: Sein Verhalten changiert zwischen hündischer Devotheit und überheblichem Angebertum. Dass mit Julius etwas nicht stimmen kann, spürt man als Leser:in schon früh – und beobachtet Krohn, der bei seinem Fake-Sohn deutlich mehr Willen zur Auseinandersetzung an den Tag legt als bei der eigenen Tochter, dabei, wie er alle Warnzeichen übersieht.
Seine zweite Identität und die plötzliche Wichtigkeit lässt Krohns Brust anschwellen – wie auch sein bester Freund Ralph mit wachsender Skepsis bemerkt. Aber nicht nur das; der Job lässt die Ebenen zwischen Arno und Anton verschwimmen. „Als Arno Wilfing wüsste er, was zu tun ist“, (S. 148) denkt es in Krohn einmal, als sich die Charade unaufhaltsam ihrem Ende entgegendreht. Ein gefährlicher Trugschluss, wie sich bald zeigen wird.
Die Unerträglichkeit der Wahrheit
Von den Absurditäten der modernen Arbeitswelt, der Vereinsamung der Menschen, der Zersplitterung unserer Ichs, von Täuschungen und Enttäuschungen und der Gefahr, sich selbst eine Falle zu stellen, erzählt Florian Gantner auf schmalen 168 Seiten. Und die haben es in sich. Konsequent doppelbödig lässt er Anton Krohn auf der Suche nach sich selbst auf alle anderen Menschen um sich herum vergessen. Das lässt sich deshalb gut ertragen, weil Gantner ein einfallsreicher, gewitzter und eleganter Erzähler ist, der Ironie, absurden Humor und nachdenkliche Momente geschickt dosiert. Mit Eternal Partner legt der Autor einen brandaktuellen Text vor, der mehr als einmal höchst unterhaltsam auf falsche Fährten lockt, mit Erwartungshaltungen spielt – und hinterrücks direkt aufs Herz zielt.
„Ich nutze die Zeit. Darauf habe ich früher etwas vergessen“, (S. 153) sagt Martha gegen Ende des Romans zu ihrem Mann, den für einen Augenblick eine Ahnung durchzuckt, sich aber von der stoischen Ruhe Marthas beruhigen lässt, als sie versichert „ich komme allein zurecht“ (S. 154). Was sie eigentlich meint, hört Krohn nicht: Ich werde nicht mehr ewig hier sein. Die beiden Wilfingschen Singvögel, benannt nach dem mythischen Paar, das den Tod zu überlisten suchte, konnte Anton durch seine Zuwendung wieder zum Singen bringen; in der ungleich harscheren Realität muss er sich der Endlichkeit stellen. Die bittere Wahrheit ist: Der Tod lässt sich nicht foppen – und ist der einzige ewige Partner, auf den Verlass ist.
Stefanie Jaksch war einige Jahre als PR-Verantwortliche und Dramaturgin an deutschen Theatern tätig, seit 2011 lebt und liest sie in Wien, wo sie bis 2023 die Verlags- und Programmleitung für Kremayr & Scheriau innehatte. Die von ihr konzipierte Essay-Reihe übermorgen wurde u. a. mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch ausgezeichnet. Seit 2024 ist die Wortarbeiterin als freischaffende Moderatorin, Kuratorin und Lektorin unterwegs und hat das Büro für Kultur- und Literaturarbeit „In Worten“ gegründet. Im Herbst 2024 erschien bei Haymon ihr Essay Über das Helle – sich selbst versteht sie als (ver-)zweifelnde Anfängerin in immerwährender Transformation.