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Fähre nach Manhattan

Armin Thurnher

// Rezension von Alexander Kluy

Kommt ein Vorarlberger nach Amerika. Das mag wie ein vorurteilsgesättigter Witz klingen. Ist aber keiner. Vielmehr ließe sich auch so Armin Thurnhers Memoir Fähre nach Manhattan. Mein Jahr in Amerika überschreiben. Es ist der Sommer 1967. Nach bestandener Matura erhält Armin Thurnher aus Bregenz am Bodensee ein Stipendium für einen zweisemestrigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika, am Wagner College, einem 1883 gegründeten so genannten Liberal Arts College auf Staten Island, einem der fünf Boroughs, der Großbezirke von New York.

Es ist ein Ich-und-Ich-Buch. Das macht Armin Thurnher, der Mitgründer, Miteigentümer und seit 2013 auch Herausgeber des Falter, der vielgelesene Kolumnist, der 2016 für Ach, Österreich! Europäische Lektionen aus der Alpenrepublik mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch ausgezeichnet wurde, der außerdem einen Roman, ein Kochbuch und mehrere Werke über den Berufsstand Journalismus verfasste, gleich zu Beginn in einer knappen reflexiven Passage deutlich.

Denn wer spricht, fragt er als allererstes. „Ich bin es.“ Aber: Welches Ich ist es, das des Neunzehnjährigen, der in ein fremdes Land zog, kaum etwas von der Welt gesehen hatte, dem Fernsehen unvertraut war, genauso wie Hamburger oder Donuts? Oder jenes des erfolgreichen Publizisten Thurnher, der Diskurse und Formeln, den „Feschismus“ etwa, prägte, scharfe Analysen des Landes und der Politik vorlegte und fünfzig Jahre später in einer ganz anderen, einer multimedialen Weltlage lebt, das Ich des 70-jährigen, der am 14. Februar seinen Geburtstag feiert und zurückschaut?

Von den USA damals hatte der junge Thurnher eine vage, sehr optimistische Vorstellung: ein Land, in dem alles funktioniert, wo alles gerecht ist, wo kein Mangel herrscht, in dem Karrieren von ganz unten nach ganz oben möglich, ja an der Tagesordnung sind, ein Land ohne einengende Nachbarschaft, dafür weit und groß und hinreißend, ein, wie er schreibt, „Land voller Königinnen und Könige.“ Mit einem Wort, wie Thurnher zusammenfasst: ein Kindertraum.

Tatsächlich ist Fähre nach Manhattan nicht nur eine Coming of Age-Geschichte, ein Buch des Erwachsenwerdens und des Abstreifens von Illusionen, eine Erzählung vom Übergang. Es ist auch eine Folie. Und: ein Vergleich mit Heute.

Wir begleiten den jungen, sportlichen (Fußball, Tennis, Skifahren) Armin von seiner Heimat Vorarlberg, die ländlich katholisch geprägt ist und in der VW-Käfer und DKW unterwegs sind, nach New York. Er hat sich besonders adrett angezogen, trägt, als er sich am Zürcher Flughafen Kloten von seinen Eltern verabschiedet, einen schicken beigefarbenen Schnürlsamtanzug mit braunen Lederknöpfen, über Kreuz geflochten, ein weißes Hemd, eine schmale gehäkelte weinrote Wollkrawatte. Er fliegt nun das erste Mal. Gebucht wurde er grundsolide auf einer grundsoliden SwissAir-Maschine.

Und dann – Amerika! Wir begleiten ihn, wie er das Universitätsgelände erkundet, wie er Merkwürdiges, Ausgefallenes, Originelles sieht und erlebt, Footballspieler, die wie Kästen gebaut sind und einen derben Humor haben, schöne junge Frauen, die so ganz anders sind, einen Fußballtrainer, der sein Team nur traben lässt, ihnen kein bisschen an Taktischem mit auf den Platz gibt, Professoren, die zwischen Hochtrabendheit und imposanter Bildungstiefe schwanken. Und mitten drin er aus der österreichischen Provinz. Sein Mitbewohner im Studentenwohnheim ist revolutionär bewegt, gegen das Establishment eingestellt, nimmt an Protestdemonstrationen gegen den Vietnamkrieg teil. Eine bewegte Zeit.

Jedem der 67 Kapitel hat Thurnher ein in der Regel längeres Zitat vorangestellt, das den Hintergrund aufreißt. Denn die bewegte Zeit bezieht sich auf das Manhattan, das von Staten Island aus mit der Fähre zu erreichen ist. In dieses New York taucht Thurnher in Maßen ein (je nachdem, wie es die bescheidenen Finanzen erlauben), ins Village, die Lower East Side und die Bowery. Es ist eine Stadt der Musik, der Clubs, weniger der Bücher. Da tauchen Bob Dylan auf und Norman Mailer und Lyndon B. Johnson, Susan Sontag und Noam Chomsky. Da kommt Otis B. Redding bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, da gibt es Hippies und Kommilitonen, die – Skandal! – Fidel Castro-Plakate angepickt haben und für Kuba schwärmen. Er erlebt musikalische Begabungen und Wohnverhältnisse, die für ihn zumindest ungewöhnlich sind, und auch kulinarische Minderkünste, auf die er hätte verzichten können. Ein Parzival, der immer festeren Boden unter den Füßen findet und dem kritisches Bewusstsein zuwächst.

„Memoir“ ist etwas, das in der deutschen Literatur noch immer etwas unvertraut ist. Es ist kein fest umrissenes Genre, welches einer stringenten und linear durchgeschriebenen Autobiografie entspricht. Daher auch die vielen kürzeren Kapitel, in denen thematisch gesprungen wird, vom Hochschulsport zu schüchternen amourösen Erfahrungen. So bleibt es subjektiv – was Thurnher austariert mit zeitpolitischen Verweisen.

Manche Passagen klingen schon fast nach Prosagedicht, sind durchrhythmisiert und kommen ins Schwingen und großstadtstaunende Singen:

„Autos hupen, die Stoßstangen einparkender Autos knallen; diese Stoßstangen werden bumpers genannt, mit gutem Grund. Da ist sie, die savage servility. Ihre verwilderte Unterwürfigkeit haben sie behalten, die Freien, wer so fährt, buckelt im Job und zieht privat die Knarre. Der Lärm von New York. Ich habe Engelsstimmen im Kopf, weibliche und männliche. Die klare Klage von Joan Baez, das tragende Pathos von Buffy Sainte-Marie, das ekstatische Rasen von Janis Joplin, die Stimmwolkenkurven Joni Mitchells, die kecke Kehligkeit von Brooke, das niedliche Näseln Nancys, oh Armin, im Vorwurf schon die Verzeihung, das Echo Nicos aus dem kühlen Keller der Zukunft. Free Love. Jimi Hendrix sagt zu Ed Sanders: Ich hasse meine Stimme. Ed Sanders sagt zu Jimi Hendrix: Deine Stimme ist großartig. Hinter der Bühne ist Janis everybody’s darling.

Um uns der Lärm von Maschinen, der Gesang der Autoreifen, das Getrommel von Obdachlosen auf Regentonnen, in denen Feuer brennt, das Aufjaulen von Motoren, das Schlagen der Subwayräder auf den Schwellen, das schrille Kreischen der Bremsen, die Trillerpfeifen der Polizei, dazwischen Hare-Krishna-Gesänge, Rockmusik aus geöffneten Lokaltüren, das Pfeifen, Knacken, Scheppern der Fernheizung, lange Soli von E-Gitarren, Quaken von Wahwahpedalen, Schlaginstrumente, Rasseln, Tambourine, Ambulanzsirenen, Feuerwehrhörner, manchmal, wenn ein Spalt in der Lärmdecke aufreißt, in der Höhe Falkengekecker.“

Irritierend ist am Ende Zeitliches. Denn das Buch endet zu Weihnachten 1967, knapp sechs Monate nach seiner Ankunft. Annonciert der Untertitel nicht ein ganzes Jahr? Hilfreich für die Lektüre wäre es auch gewesen, hätte der Verlag bei den vielen Dialogen nicht auf etwas typografisch Bewährtes vergessen, auf Einzüge. Einige Male bedarf es wiederholter Lektüre, um herauszufinden, wer gerade spricht.

Fähre nach Manhattan. Mein Jahr in Amerika.
Memoir.
Wien: Zsolnay Verlag, 2018.
208 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-552-05925-2.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 27.01.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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