Gernot Wolfgruber hatte zur Zeit des Nato Doppelbeschlusses, des kalten Kriegs, der iranischen Revolution, der Aufrüstung, der Friedensbewegung schonungslos und genau die Welt des Vertreters Martin Lenau beschrieben. Heute, in einer nicht weniger bewegten Zeit, macht die gebürtige Oberösterreicherin Karin Peschka Fanni, Ehefrau, Mutter zweier Kinder, Filialleiterin-Stellvertreterin in einem Supermarkt im fiktiven Laurinz, das in der Nähe von Ried im Innviertel zu suchen wäre, zur Protagonistin ihres zweiten Romans FanniPold. Es ist nicht so, dass darin die Welt der Politik außerhalb des Horizonts der oberösterreichischen Provinz gar nicht vorkäme, aber zuvorderst geht es um eine unverblühmte Auseiandersetzung mit dem Leben in einer Kleinstadt aus der Sicht einer Frau. Es ist eine auktoriale Erzählerin, die souverän über den Dingen steht, aber auch, wenn sie aus der Sicht Fannis oder einer anderen Person des Romans die Umgebung wahrnimmt, in den Gang der Ereignisse verwickelt ist.
Fannis Leben meint „Arbeitstag, Geschäftsroutinen, Checklisten“. Das Haus ist gebaut, doch es heißt weiterhin sparen, sich nichts leisten dürfen. Dafür sorgt Mann Bernhard, der alles (ab-)rechnet. „Die Pizzeria lag mitten im Ort, am Hauptplatz, zwischen Fleischhacker und Bestatter. Links ein tönernes, lachendes Schwein im Schaufenster, Rauchwurst und Salami, ein Plastikschinken auf einem Teller mit karierten Servietten. Rechts der kleine beleuchtete Kasten mit den aktuellen Partezetteln, daneben die Bestatterauslage, Seidenblumen in schweren Vasen, eine goldene Urne auf einem kleinen, mit weißem Stoff drapierten Sockel.“ In der Pizzeria auf diesem den Tod zur Schau stellenden „Hauptplatz“ trifft Fanni ihre Freundinnen zum „Weiberstammtisch“: Hilda vom Gemeindeamt, Waltraud, die mit ihrem Mann eine Werbeagentur betreibt, und Gerfriede, die deutsche Ordinationshilfe des Augenarztes. Fanni leidet unter Langeweile und Einsamkeit, „die hatte sich in ihrer Brust zu einer Ödnis ausgeweitet, zu einer Ödnis, die jener aussterbender Ortskerne in nichts nachstand. Verlassene Schaufenster, tote Fliegen, verstaubte Dekorationen.“
„Was Wunder denn“, schreibt Kirkegaard in „Entweder-Oder“, „daß es mit der Welt nicht vorwärts will, und das Böse mehr und mehr um sich greift, da es ja immer langweiliger auf Erden wird und die Langeweile eine Wurzel allen Übels ist.“ Am Stammtisch erzählte Hilda von den Vorfällen, „die sich in Laurinz häuften. Eingeschlagene Scheiben, umgebogene Schilder, zertretene Gartenzwerge, verstopfte Auspuffe. Sogar der Postler behaupte, man habe ihm böswillig die Postlertasche sabotiert, obwohl. „Obwohl was?“, fragte Fanni. „Der ist doch ein B’suff„, meinte Hilda, „das weiß hier jeder.“ Also glaubte ihm keiner. „Mir hat jemand das Wort ‚Hure‘ vor die Haustür geschrieben.“
„Nichts hatte Fanni geplant, rein gar nichts.“ Sie bemerkt, dass ihr Leben einfach passiert und ist unzufrieden damit, mit der Situation in der Ehe, den Freundinnen, ihrer Arbeit: „Wochenroutine, Routinewochen, hieße ich Tine, ich würde nur kochen, die kochende Tine, Wochenroutine, Regaleinräumen im Supermarkt.“ Fanni kann auch Kalauer, ein zum Scheitern verutrteilter Versuch Pep in ihr Leben zu bringen. Ein anderer ist die Lüge. Auch diese passiert ihr einfach. Sie erzählt, sie habe einen „Herztumor“. Wir erfahren wie ihre Familie und Freudinnen damit umgehen. Paradoxer Weise scheint es, als würde, während sich Fanni immer weiter in ihre Lüge verstrickt, ihr Blick auf Verhältnisse und Menschen gleichzeitig immer realistischer und ehrlicher. Wie Karin Peschka das gestaltet, ist große Kunst. Da ist nichts einfach, alle Schattierungen von grau werden sichtbar.
Warum FanniPold? Von den Freundinnen bekommt Fanni einen Herzenswunsch erfüllt, den ihr die Lüge auf einen Zettel am Stammtisch in der Pizzeria geschrieben hat, einen Tandemflug. Ihr Partner dabei ist der noch nicht lizensierte Möchtegernselbständige Leopold. Sie stürzen ab, krachen gegen einen Baum, und ein Ast steckt in Fannis Brust. „“Brangelina, verstehst?“ „Was?“ Poldi entlastet vorsichtig den linken Fuß, nur eine Spur, klebt an der Frau und die steckt fest am Ast. „Brad Pitt und Angelina Jolie. Wären wir berühmt, weißt, wie wir heißen würden?“ „Wie?“ Unter ihnen vibriert das Handy zwischen den Baumwurzeln, tanzt zu Molltönen, was hilft’s. „Fannipold„, sagt Fanni.“
Abwechselnd können wir LeserInnen die Ereignisse vom 15. April „Im Wald“ und vom 7. Februar bis 14. April davor verfolgen. Dabei passiert nichts, was nicht jeder gewöhnliche Mensch erleben könnte. Es gibt Wiederholungen und wenig Bedeutung, es ist viel Ödnis und Fadesse. Das ist anstrengend zu lesen und messerscharf genau beobachtet. Es wäre nur schwer zu ertragen, wäre da nicht viel Humor und große Leichtigkeit in der Darstellung der Geschehnisse.
Krieg, so zeigen uns viele Schilderungen, bedeutet für die Akteure vor dem Tod zumeist Langeweile. Und es ist diese Langeweile, die jenen herbeisehnt. Doch Karin Peschka erlaubt keine leichten Antworten: „Fanni saß kerzengerade auf ihrem Hocker. War es wirklich nur Langeweile, die sie quälte?“ Der Roman eröffnet Fragen, die an die Wurzel gehen. Nach „Gott, den es nicht gibt“ ebenso wie nach der Bestimmung von Familie und Freundschaft und nach der Freiheit des Menschen, sein Leben selbst bestimmen zu können.
Das Urteil der Erzählerin fast am Ende des Buches ist hart und pessimistisch. „Wir machen die Toten lebendig, wir schreiben auf, was sie zuvor taten.“ Lügen, die Dinge geschehen lassen, in Gewohnheiten ersticken, sich langweilen.
Aufmerksame LeserInnen können durchaus auch Erfreulicheres an den sympathischen ProtagonistInnen des Romans entdecken. Was in Laurinz und Umgebung passiert, ist jedenfalls wert, beachtet zu werden. Karin Peschka ist ein großer Roman gelungen.