#Sachbuch

"Fremd ist die Stadt und leer..."

Richard Dove

// Rezension von Iris Denneler

„Ich flüchtete geradezu hierüber, um mich an den Schreibtisch zu klammern, unsern einzigen Halt“. Das schrieb Stefan Zweig 1937 an Joseph Roth, und „hierüber“, das war England, wo Zweig – mit einigen Unterbrechungen – seit 1933 lebte. Dabei ging es ihm – abgesehen von zunehmenden Depressionen, auch seiner Scheidung von Friderike wegen – noch relativ gut: Auslandsaufenthalte in Brasilien, USA, Frankreich, ein ausreichendes finanzielles Polster, Freunde und Kontakte in aller Welt und vor allem die Möglichkeit, sich weiterhin an „den Schreibtisch zu klammern“, sprich zu publizieren, verschafften Zweig eine privilegierte Stellung innerhalb der nach England emigrierten Repräsentanten der deutschen Literatur. Kollegen wie dem Dichter und Schriftsteller Max Herrmann-Neiße, wie dem Doyen der Berliner Theaterkritik, Alfred Kerr, dem Wiener Romanschriftsteller und literarischen Parodisten Robert Neumann oder dem Journalisten Karl Otten ging es da weit weniger erträglich.

Richard Dove, Professor für Deutsche Literatur an der University of Greenwich, hat deren schwierige, oft dramatische Lebensläufe nachgezeichnet und dafür intensiv schriftliche Dokumente, aber auch noch lebende Zeugen herangezogen, – mit dem Schluss: Die Assimilation gelang keinem. So unterschiedlich die Ursachen waren (Zweig und Neumann waren Juden, Max Herrmann-Neiße und Otten sahen sich wegen ihrer scharfen Feder in Gefahr, Kerr hatte sich in – wie es nun hieß – „zersetzenden“ Kritiken für die literarische Avantgarde eingesetzt); so wenig vergleichbar die Lebensläufe (Kerr war beinahe 70, als das Exil begann, der jüngste, Neumann, Mitte 30), so verschieden die Umstände, wie sie kamen und wie sie blieben und so schwierig allein der Begriff des „Exils“ -, eines kann man für alle diese Intellektuellen- und Schriftstellerbiographien sagen: mit der Heimat verloren sie nicht nur ihre gesicherte, vertraute Umgebung, ihr Zuhause und ihr regelmäßiges Einkommen, sie verloren vor allem ihre Sprache, das, was ihren Beruf und ihre Leidenschaft ausmachte, ihr Können, ihre Reputation und ihre Identität. Mag für den einen oder anderen journalistisch Schreibenden noch eher die Möglichkeit bestanden haben, in das fremdsprachige Medium überzuwechseln – ein Belletrist muss übersetzt werden. Er hat – ebenso wenig wie der Dramatiker, der, um bühnenwirksam zu schreiben, die Mentalität seines Publikum erst einmal internalisiert haben muss – keine Chance, seine Werke in einer anderen als jener feinen Stillage zu schreiben, die seine Kunst „zuhause“ auszeichnete. Dazu kam, dass die englische Politik und Gesellschaft sich zunächst zur Strategie der Beschwichtigung und der demonstrativen Isolation entschlossen hatte, so dass eine Fortsetzung der alten ‚kritischen‘ Tätigkeitsfelder, die Chance, als freier Mitarbeiter bei Presse und Funk unterzukommen, gar im Theater aufgeführt zu werden oder Verleger zu finden, die die neuen, zeitkritischen Werke übersetzen wollten, weder möglich noch erwünscht war.

Das Inselreich sah sich in der Tradition seiner gloriosen Kolonialpolitik und war kulturell – so jedenfalls die Einsicht Doves – gegenüber dem Kontinent, vor allem im Vergleich zur künstlerischen Avantgarde in Frankreich und erst recht jener in Berlin, hoffnungslos konservativ und zurückgeblieben. Auch die Presse signalisierte vor allem eines: man wollte in Ruhe gelassen werden. Mögen auch Schriftsteller wie Virginia Wolf, Joyce, Shaw oder Orwell heute für literarische Moderne stehen; damals repräsentierten sie nicht den Mainstream der englischsprachigen Literatur.

Sicher, auch die Emigranten brachten nicht die besten Voraussetzungen mit: die wenigsten konnten ausreichend Englisch oder sahen sich auch nach Jahren noch als sprachlich „behindert“, die Autoren blieben Einzelgänger, sowohl was die Kontakte zu ihrem neuen Lebensumfeld als auch die Kooperation untereinander anging, und sie lebten – manche von ihnen bis zum Tod, im „Wartesaal“, teils illusionistisch einer baldigen Rückkehr vertrauend, teils in praktischen Dingen in der Tat so wenig geübt, dass Umzüge, das ständige Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben und die neu zu erlernenden „schwarzen Künste der Bürokratie“ für sie doppelt belastend wurden. Oft blieb die einzige Stütze die Ehefrau oder Geliebte, ohne die – auch das macht Doves Untersuchung deutlich – die meisten hoffnungslos gescheitert wären. Das Gefühl nicht nur der Fremde, nein, der Entfremdung von sich selbst, dürfte wohl fundamental gewesen sein und traf nicht nur die an den Rande der finanziellen Existenz Gedrängten, sondern auch etablierte Autoren wie Stefan Zweig, dessen psychische Befindlichkeit sich Ende der 1930er Jahre zusehends verschlechterte.

Mit dem Eintritt in den Krieg 1939 verabschiedete sich Großbritannien von seiner Appeasement-Politik und der Strategie des Wegschauens; den Emigranten war dies nicht eben förderlich: Wohl sah sich England, auch durch öffentlichen Druck, gezwungen, deutlich mehr Flüchtlinge aufzunehmen (so konnten viele Tausende jüdischer Kinder durch sogenannte Kindertransporte gerettet werden, da Kinder unter 17 Jahren nicht visapflichtig waren) – am Ende waren es 70.000. Doch galten Emigranten wie Max Herrmann-Neiße erst einmal als „feindliche Ausländer“ und wurden in Internierungslager geschickt, in denen sie nicht nur unter oft harten Bedingungen zu leiden hatten, sondern auch täglich mit der Angst kämpften, was geschehen würde, wenn den Deutschen die Invasion gelänge. Man stellte sich unter, versuchte, sich so loyal wie möglich zu verhalten und seine vorzeitige Entlassung zu beantragen. Andere, wie Otten, arbeiteten mit dem Geheimdienst zusammen.

1945, als der Krieg zu Ende war, mussten viele erstaunt konstatieren, wie wenig es ihnen gelungen war, im Land akzeptiert zu werden. Dennoch dachten die wenigsten daran, rasch nach Deutschland zurückzukehren. Otten verließ England 1958, Herrmann-Neiße blieb, obwohl sein Antrag auf Einbürgerung nie bearbeitet wurde, bis zu seinem Tod, Kerr unternahm auf Einladung des Britisch Council 1948 eine Deutschlandreise, erlitt einen Schlaganfall und nahm sich im Krankenhaus in Hamburg das Leben. Erst heute, wo allmählich die Verdienste von Literaturvermittlern wie Erich Fried, W.G. Sebald oder Michael Hamburger ihre Wirkung zeigen, sieht man anerkennend – so Doves Fazit -, dass gerade die Emigranten, die in ihrem Londoner Exil nur schwer Fuß fassen konnten, den Anstoß für die heute so selbstverständlichen deutsch-englischen literarischen Beziehungen geliefert haben.

Richard Dove „Fremd ist die Stadt und leer…“
Fünf deutsche und österreichische Schriftsteller im Londoner Exil 1933 – 1945.
Berlin: Parthas Verlag, 2004.
352 S.; brosch.
ISBN 3-932529-59-6.

Rezension vom 29.09.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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