#Roman

Galatea

Elisabeth Hödl, Ralf B. Korte

// Rezension von Sabine Dengscherz

Das Opfer: Ein bekannter Psychotherapeut. Todesursache: vermutlich Vergiftung durch reines Nikotin. Auffällige Details: Eingeschlagene Zähne und ein Zapfhahn im After. Fundort der Leiche: Eine aufgelassene Tankstelle am Stadtrand von Graz, in unmittelbarer Nähe einer Kaserne. Tatort: möglicherweise die Wohnung des Opfers. Der Täter: unbekannt. Motive: mehr als der Kripo lieb sein kann.

Der Ermittler: Kommissar Henze, Kripo Wien, vorher Staatsschutz in Berlin. Bundesdeutscher mit österreichischer Staatsbürgerschaft, erworben durch Scheinehe mit einer linkslinken Anarchistin, die ein wenig am System herumsprengt und die er zuweilen dabei deckt. Keiner weiß so recht, warum ausgerechnet ihm der Fall übertragen, nachgerade angehängt und umgehängt wird, ihm, dem Deutschen aus Wien, der doppelt nicht dazugehört und dem keiner was erzählen wird. Und er weiß nicht recht, wo er beginnen soll, gräbt Machenschaften aus, von denen keiner hören will, kratzt an der Oberfläche eines Netzwerks, in dem er sich alsbald verfängt. Gegen Freunderlwirtschaft kann man halt nicht an von außen.

Galatea ist bereits das zweite gemeinsame Buch von Elisabeth Hödl und Ralf B. Korte. 2004 erschien der „elektronische Briefroman FM dj [reading reise durch die nacht]“, eine Auseinandersetzung mit Friederike Mayröcker.
Nun haben die beiden einen Kriminalroman verfasst, der geradezu klassisch beginnt, aber zusehends verzwickter, vernetzter und zerfranster wird, bis sich der Kommissar am Rande der Suspendierung wiederfindet, verirrt in einem internationalen Labyrinth von Spuren, die auf Waffen- oder Drogenhandel ebenso hinweisen wie auf illegale Feldversuche mit Implantaten ins Gehirn.

Der erfolgreiche, narzisstische Psychotherapeut Yuri Ozelot alias Neuwirth, von seinen Eltern benannt nach Yuri Gagarin, dem gleich er nach den Sternen greifen will, geschmeidig wie die Raubkatze, nach der er selbst sich nennt und der er nacheifert auf seinen Raubzügen nach Frauen und Anerkennung, soll im Auftrag eines Konzerns herausfinden, wo die Möglichkeiten und Grenzen elektronischer Wunderheilungen liegen: Projekt Galatea – Implantate im Gehirn, die die Persönlichkeit verändern, psychische Krankheiten heilen, Psycho-Prothesen, die das perfekte Hirn zum perfekten Körper zaubern oder wenigstens ein gesundes, das nach den aktuellen Maßstäben der Gesellschaft funktioniert. Versuchskaninchen sind jene verzweifelten Langzeitpatienten, bei denen bisher jegliche Therapie vergebens war und auch die chemische Keule nicht (mehr) anschlägt. Willig gehen sie jedes Risiko ein. Manche von ihnen werden vielleicht noch kleine Berühmtheiten: eine Psycho-Reality-Show im Fernsehen ist schon geplant.

Der Roman wird abwechselnd aus zwei Hauptperspektiven erzählt, die sich sprachlich-stilistisch stark unterscheiden: Zunächst einmal in der dritten Person, teils aus dem Blickwinkel der letzten Geliebten und Patientin des Therapeuten, die ihrerseits recht ergiebige Nachforschungen anstellt, teils aus dem Blickwinkel eines gewissen Globinic, dem Vorgesetzten Henzes, der eigene Interessen verfolgt und diese zu schützen weiß. Hier fließt der Erzählfluss ungehemmt, mal nachgerade juristisch präzise, mal eher einfühlsam oder poetisch. Wenn wir eine Zuschreibung wagen wollen: Diese Passagen klingen eher nach Elisabeth Hödl. Aus der anderen Perspektive spricht Henze in der zweiten Person zu sich selbst, in gepflegter Schnoddrigkeit, hinter der Ralf B. Kortes rhythmisch-dichter, oft elliptischer Stil hindurchschimmert und dem pretty well lebensunfähigen Henze zuweilen einen zerstreut-intellektuellen Touch verleiht. Kapitelweise alternieren diese Stimmen, der Fokuswechsel bestimmt die Dynamik des Textes.

Die steirische Rechtsexpertin und der Experimentalschriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift „Perspektive“ begeben sich mit ihrem Kriminalroman auf ungewohntes Terrain: in eine Sparte, die kommerziell besetzt und beleumundet ist, in der es nicht zuletzt um Spannung, Erzählen und Stories geht – und gerade das mag wohl auch das Experimentelle daran sein: das Ausloten begrenzter Handlungsspielräume in einem relativ engen Genre, das sie anbohren und zwicken, ein bisschen dehnen und interpretieren, zuweilen unterminieren, aber dann doch nicht sprengen.
Experiment gelungen: Opfer tot, Roman lebt.
Mit ein paar Fransen an den Rändern, an denen man schön zündeln kann.

Elisabeth Hödl, Ralf B. Korte Galatea
Kriminalroman.
Graz: Leykam, 2011.
278 S.; geb.
ISBN 978-3-7011-7746-2.

Rezension vom 02.05.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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