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Gefährten zur linken Hand

George Tabori

// Rezension von Peter Stuiber

Manchem Schriftsteller erweist man mit dem Aufspüren von unbekannten frühen Werken keinen guten Dienst. Denn nicht immer hält in solchen Fällen das Buch, was der Autorenname verspricht. Bei George Tabori ist das Gegenteil der Fall. Rund fünfzig Jahre nach dem Erscheinen der englischen Originalausgabe (Companions Of The Left Hand) ist sein zweiter Roman erstmals in deutscher Übersetzung erschienen: All das, was Taboris Werk so einzigartig macht, – der abgründige Humor, die Unbestechlichkeit des Blicks auf politische wie private Verhältnisse, der Sinn für groteske Situationen – findet man schon in dem Werk des damals 27-jährigen.

Protagonist des Romans ist Stefan Farkas, ein älterer, erfolgreicher Autor bürgerlich-dekadenter Theaterstücke. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges sucht er San Fernando auf, ein kleines Dorf an der Adria, in dem er vor langer Zeit mit seinem Bruder den Urlaub verbracht hatte. Statt der erhofften Ruhe und Erholung gerät er – im wahrsten Sinne des Wortes – zwischen die Fronten. Noch regiert der Faschismus im Land. Doch das scheint Farkas zunächst nicht zu tangieren. Schließlich ist er genug beschäftigt mit den schmerzhaften Gedanken an seinen gelähmten Bruder oder mit seiner Zuneigung zur scheuen Tony, dem hübschen Mädchen von nebenan. Politik interessiert ihn nicht. Für den fanatischen Kommunisten Giacobbe di Bocca und dessen Träume von einer nahen Revolution hat er nur Verachtung übrig. „Mir ist die Vorstellung von Arbeitern, Mechanikern, Bauern und Ladenbesitzern, die mein Leben verwalten, zuwider. Das ist nichts als ein Mythos. Zudem haben Reiche, Adlige und Erzbischöfe für gewöhnlich den besseren Geschmack.“ (S. 110)

Doch Farkas entkommt dem Lauf der Ereignisse nicht. Die deutschen Besatzungssoldaten verlassen das Dorf, unter der Leitung di Boccas übernimmt „das Volk“ die Herrschaft. Als sich die Nachricht verbreitet, die Landung der britischen Flotte stünde kurz bevor, versammeln sich die Einwohner San Fernandos am Hafen, um die Befreier gebührend zu empfangen. So geraten sie in eine tödliche Falle. Denn in Wahrheit war die Nachricht von den herannahenden britischen Truppen ein Trick von Pater Giuseppe, der um die Herrschaft der Kirche fürchtet. Deutsche Truppen greifen die hilflosen Menschen an, es gibt Tote, einige Kommunisten können sich ins nahe Badehaus retten. Dem unbeteiligten Farkas wird die Situation langsam zu heikel. Bevor er jedoch aus San Fernando abreisen darf, muß er – auf Befehl der Deutschen – als Vermittler mit den aufständischen Kommunisten verhandeln. Di Bocca erkennt die einmalige Chance, das ohnehin schon verlorene Dorf zumindest aus der Vergessenheit der Nachwelt zu entreißen: „Wer würde sich an uns erinnern? Aber Sie [Farkas] sind berühmt, weltberühmt.“ (S. 342) Mit Waffengewalt zwingt er schließlich den prominenten Schriftsteller, als „Märtyrer“ für die kommunistische Sache zu sterben.

Taboris Roman ist nicht nur eine eindringliche Beschreibung der historischen Ereignisse in Italien im Jahr 1943, sondern entwirft auch ein exemplarisches Bild des modernen Menschen. Farkas – ein literarisches Pendant zum Dramatiker Franz Molnár – findet sich in einer Situation wieder, in der sein bisheriges beziehungs- und verantwortungsloses Leben auf die Probe gestellt wird. In trotzigem Gegensatz zum „Weltverbesserer“ di Bocca beharrt er auf seiner Unabhängigkeit – und wird dennoch (und gerade deswegen) schuldig. Wend Kässens vergleicht in seinem Nachwort die Hauptfigur in Taboris Roman mit Meurseult aus Albert Camus‘ Der Fremde: „Im Scheitern seiner scheinbar absolut freien Existenz erfährt er, daß Leben Mitleben heißt.“ (S. 364) Und Mitleben eine Übernahme von Verantwortung bedeutet.

Diese Auseinandersetzung mit existenzialistischen Fragestellungen stellt das frühe Werk Taboris in eine Reihe mit den wichtigsten Vertretern der literarischen Moderne nach ’45. Daß es sich dabei noch dazu um ein außerordentlich unterhaltsames Buch handelt, macht es zu einem echten Glücksfall.

Gefährten zur linken Hand.
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Wend Kässens.
Aus dem Englischen von Ursula Grützmacher-Tabori.
Göttingen: Steidl, 1999.
366 Seiten, gebunden.
ISBN 3-88243-626-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 15.07.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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