#Lyrik

Gefeuerte Sätze

Petra Ganglbauer

// Rezension von Marcus Neuert

Limbus Lyrik besticht als Reihe durch die schlichte, aber elegante Aufmachung, die sehr an alte Insel-Bändchen gemahnt. Wer das zu betulich finden sollte, der wird jedoch nicht selten mit ziemlich explosiven Inhalten konfrontiert.

Im Falle von Petra Ganglbauers Gefeuerte[n] Sätze[n] geben die kleinen gezeichneten Motive auf dem Cover – Ruderboote, Schlauchboote mit Außenbordern und ganz viele schwimmende Rettungsringe – schon einen Hinweis, um welches Sujet es sich handeln könnte. Österreich ist ja nicht gerade eine ausgewiesene Seefahrernation (nur der Kreuzfahrttourismus hat in den letzten Jahren wie überall im deutschsprachigen Raum auch hier obszön anmutende Ausmaße angenommen) – also wird es wohl eher um die vielen Flüchtenden gehen, die eine Leben-Tod-Lotterie mit ungewissem Ausgang riskieren, um Armut, Despotismus und Perspektivlosigkeit in ihren Heimatländern zu entgehen.

Tatsächlich zeigt bereits der Blick auf den vorangestellten Text über Buch und Autorin, dass diese Richtungsbestimmung nicht verkehrt ist. Doch die neuen Gedichte Ganglbauers nur auf das Thema Flucht und Vertreibung zu fokussieren hieße inhaltlich zu kurz zu springen. Die drei Abteilungen, in welche die Grande Dame der österreichischen Lyrik ihren Band unterteilt hat, lauten „Gewalt Muster“, „Revisited“ und „Blessuren“. Schnell wird offenbar, dass viele Facetten und Blickwinkel auf Formen von menschlicher Aggression, Arroganz, Ignoranz und daraus resultierendes Leid in diesen Texten eine Rolle spielen – auch wenn, zumindest assoziativ, immer wieder Rückgriffe auf das Flucht-Motiv zu konstatieren sind.

Wie der Titel schon impliziert, sind die Texte knapp, verletzt und verletzend. Das sind keine weltklugen Aphorismen, keine süffisanten Einzelschüsse aus der Hüfte – Ganglbauer gibt kurze Garben aus ihrer verbalen Maschinenpistole ab, die ihrer Leserschaft nur so um die Ohren fliegen:
Das Gebrüll aus gefeuerten Sätzen / Gefriert in der Hitze zur Mauer aus / Scherben und Spurlosem (Steine) – / Jede Stelle im Raum der Sprache ist / Kahl die sickernden Worte / Kriechen durch Wände.

In diesen Zeilen, aus denen der Band seinen Namen ableitet, klingt schon eines der anderen Motive an: das der Sprache, des Wortes und der Kritik an ihnen. Immer wieder finden sich solche Texte, und Ganglbauer bringt ihre eigene Sprache als Waffe gegen den gesellschaftlich wie selbstverständlich genutzten Sprach-Abraum in Stellung, der seinerseits als Vernichtungswaffe funktioniert:
„Die Begriffe werden zu Fresswerkzeugen: / Aus- / Sprache – in Wirklichkeit – / Rutscht sie ohnehin ständig aus / Dem beinahe leergefegten Raum / (durchsägte Berge, also zersprochen: / Kantenlos, aussichtslos) / & Karst / & in Wassern / Verarmen die Gebärden / (Von gepanzerten Fischen).“
Sprache ist Herrschaft, daran erinnert Ganglbauer immer wieder, denn „Die Bezeichnungen verleihen den Dingen / Ihre Macht.“

Ein weiteres Motiv in den Gedichten ist das des Körpers, der als Subjekt in zahlreichen Kontextualisierungen von Verfolgung und Unterdrückung, Gewalt und Vernichtung auftaucht. Sie scheinen zunächst keine Bilder für Individuen zu sein, stehen sie doch ganz häufig erst einmal für Namenlosigkeit, für Massenschicksale. Nicht selten kontrastieren die Bilder von Körpern dann aber auch mit denen von Körperteilen, was eine plötzliche Verschiebung der Dimensionen zur Folge hat – wir überspringen als Leserschaft die Ebene des Individuellen, werden sofort auf die substanziellen Fragmente der Körperlichkeit zurückgeworfen und erleben mitunter dadurch einen geradezu kathartischen Effekt:
„Massenhaft Rippen gezählt – / Verkeilt mit dem nach unten Ziehenden / Wasser kratzend bis an die Himmel / Als hart verlassene namenlose Körper- / Deutung, geteertundgeölt wie die / Tiere zerschwommen.“

Die fast in jedem Text auffallenden kursiven, mitunter in Klammern gesetzten Worte wirken nicht selten wie eine Art zweite Stimme, die der anderen sekundiert, sie präzisiert, ihr ins Wort fällt – eine Form von innerem Dialog, der das Unfassbare der rezipierten Gewalt einzuordnen versucht und gleichzeitig eine Unmittelbarkeit der künstlerischen Gestaltung zum Ausdruck bringt – die freilich so unmittelbar nicht ist, denn sie wird von der Autorin Wort für Wort konstruiert in expressionistisch anmutender sprachlicher Härte.

Im Kapitel „Revisited“ häufen sich die Betrachtungen des Kriegs- und Fluchtelends und der konnotierten weiteren Gewaltwahrnehmungen von außen, durch den Medienschirm, der uns als Zuschauer durch „Omnipräsenz: / Kanonade, Lichtbeschuss“ der Teilinformationen eher entmündigt und unfähig zur Einordnung macht: „Die Wirklichkeit wird stecknadelgenau / Bearbeitet, bis sie / Auseinanderfällt.“
Im Zuge dieser Medialisierung von Gewalt hält auch eine Form von zynisch anmutender Ästhetisierung Einzug, die eine fatale Faszination erzeugt. Ganglbauer gelingt es, auch dies zu thematisieren und die gedankenlose Bösartigkeit hinter solchen Mechanismen zu entlarven:
„Der Krieg (das Streunende) / Kommt ins Haus. / Die Linie des Blutes am linken / Bildschrimrand. / Art in Ruins. / Eine zufällige Sammlung / Halber Menschen oder Tiere / Die den Kameras ihren Herzschlag / Überlassen. Oder Atemzug. / (Noch lebt er & laufend / Im Wirbel der Worte & Bilder)

Dabei sind Ganglbauers Gedichte gar keine direkten Handlungsaufforderungen, gehen auf Distanz zum Seelenkitsch hilfloser Fern-Empathie, die nur temporär in hektische Betriebsamkeit verfällt und als Ausdruck höchster Ergriffenheit ankommende Geflüchtete mit Teddybären bewirft. Sie seziert vielmehr mit Todesverachtung das sterbende Fleisch, bis die versehrten Organe und die karzinösen Wucherungen unserer westlichen Existenzgemeinschaften offenliegen, bis niemand mehr darum herumkommt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Aus Ganglbauers Versen wird unmissverständlich klar, dass die Probleme struktureller Natur sind und untrennbar miteinander verbunden: unsere Art zu wirtschaften und zu handeln, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören, unsolidarisch zu sein mit allem, was uns nicht direkt zu betreffen scheint. Das alles sind Formen von Gewalt.

Die Autorin macht uns nicht viel Hoffnung mit ihren Gedichten. Im dritten Teil des Bandes, „Blessuren“, mehren sich die Texte, in denen sich eine dystopische Endzeitstimmung breitmacht. Von „Territoriale[r] Spielsucht„, von der „Lichthitze des letzten Tages“ ist in den Versen zu lesen. Sie erscheinen nur mehr als Zustandsbeschreibungen, als Manifestationen der Unrettbarkeit unserer Zivilisationen.
„Verzählte Tiere oder Pflanzen: / Oder zahllos
ver- / West, keine Seele in den Hüllen, / Kein Laut nirgends und niemals / Erstmals mehr begreifbar wird. / Die security keys öffnen keine / Schlösser mehr: / Pangäa entlebt.“

Natürlich kann man das alles, wie im Einführungstext postuliert, als Handlungsanweisung lesen: „Man muss hinschauen und irgendwo anfangen.“ Doch sind nicht Ganglbauers Gefeuerte Sätze letztlich eher die bittere Ernte der Ohnmacht lyrischen Sprachhandelns und ein weiteres Beispiel für die relative Wirkungslosigkeit von Kunst? Diese Antwort muss sich jeder selbst geben. Wie sie aber auch immer ausfällt: dennoch wird diese Kunst gedacht, gemacht und rezipiert werden, solange es Menschen gibt.

Petra Ganglbauer Gefeuerte Sätze
Gedichte.
Innsbruck, Wien: Limbus, 2019.
96 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-145-7.

Rezension vom 24.04.2019

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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