Denn für Tabori ist es bezeichnend, dass er in Ungarn geboren wurde, zeit seines Lebens fast ausschließlich in englischer Sprache publiziert hat, vieler seiner Stücke aber auf Deutsch uraufgeführt wurden und er seine größten Erfolge in Deutschland und Österreich feierte. Ein europäisches Schicksal des 20. Jahrhunderts, ohne Zweifel. Dass er auch lange Zeit in Wien gelebt hat und hier zunächst mit seinem eigenen Theater „Der Kreis“ sowie unter Claus Peymanns Burgtheater-Direktionszeit das Kulturleben der Donaustadt entscheidend prägte, ist Grund genug, die neue Biografie zu George Tabori im Rahmen des Literaturhaus „Buchmagazins“ vorzustellen.
Die Schriftstellerexistenz wurde Tabori gleichsam in die Wiege gelegt. Er wuchs in einer jüdisch-liberalen Familie auf, sein Vater Cornelius, ein Journalist, Buchautor und Amateurhistoriker, erzog George und seinen sechs Jahre älteren Bruder Paul nach humanistischen Grundsätzen. Als George eines Tages, eben aus der Schule gekommen, erklärt, alle Rumänen seien schwul, honoriert der Vater das mit einer kräftigen Ohrfeige – denn „die“ Rumänen gebe es nicht, sondern nur individuelle Menschen. „In unserer Familie ist die Literatur eine angeborene Krankheit“, schrieb Bruder Paul, später ebenfalls Literat (S. 15). Mithin wundert es nicht, dass die Bemühungen des Vaters, George nach der Matura im Hotelfachgewerbe unterzubringen, auf lange Sicht scheitern mussten. Der Sohn lässt sich zwar gerne in die pulsierende Metropole Berlin verschicken, wo er das Kulturleben genießt und die politischen Entwicklungen in Deutschland hautnah miterlebt, seine Volontariate in großen Hotels sind jedoch keineswegs der Grundstein für eine Karriere in der Tourismusbranche. George folgt seinem Bruder Paul, der mit 18 das Elternhaus verlassen und unzählige Länder bereist hatte, nach England und bastelt an seiner eigenen Laufbahn als Schriftsteller. „Ich habe mir mit 25 Jahren die englische Sprache angeeignet, und die Welt, über die ich schreibe, ist ebenfalls eine Neuerwerbung“, so Tabori in einem Interview 1947. „In beiden Fällen war das Erlernen ein schmerzhafter Prozeß […] München, Guernica, Dünkirchen und [Bergen-]Belsen waren meine Universität – mit einer erstrangigen Fakultät.“ (S. 20) Taboris Mutter Elsa überlebt den Holocaust und folgt nach dem Krieg ihren Söhnen nach London, der Vater wird im Juli 1944 in Auschwitz ermordet, was den Lebensweg beider Söhne entscheidend prägte.
Während der Kriegsjahre führte George ein unstetes Leben, arbeitete als Korrespondent (u.a. für United Press, BBC) und für den britischen Geheimdienst in Istanbul, Palästina und Kairo. Nach seinen ersten, durchaus erfolgreichen Romanveröffentlichungen („Beneath the Stone the Scorpion“, „Companions of the Left Hand“) wuchs das Interesse an dem jungen Schriftsteller, der schließlich als Drehbuchautor in Hollywood landete. Die Traumfabrik erwies sich jedoch „als großes Puff“ (S. 42), in dem Tabori, der „keine gute Nutte“ war, nur scheitern konnte. „Er schrieb und las unaufhörlich. Hautnah erlebte er die vielen, nicht unbedingt erfreulichen Seiten des kommerziellen Schreibens, die vereitelten Hoffnungen und den Schmerz der Ablehnung.“ (S. 49) Bald übersiedelt der Autor nach New York (wo er mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Viveca Lindfors, eine Wohnung bezog), schrieb Theaterstücke für den Broadway – kommerziell ziemliche Flops, die auch bei der Kritik nicht besonders gut ankamen. Seine erste Arbeit als Regisseur verstärkt in ihm den Wunsch, sich als Theatermacher zu etablieren. Bekannt wird er als solcher in den USA mit seiner Kollage „Brecht on Brecht“, die 1961 im New Yorker „Theater de Lys“ aufgeführt wird. Tabori fasst mit seinen Stücken stets „heiße“ Eisen an, die Kritik spricht oft von „vulgären“ Stücken, die mehr auf Effekte denn intellektuelle Auseinandersetzung zielten. Schließlich zieht es Tabori wieder nach Europa. Den ersten Erfolg feiert er mit seinem KZ-Skandalstück „Kannibalen“ ausgerechnet in Berlin – der Auftakt zu Taboris „Holocaust“-Theater als Ort der Erinnerung. „Es gibt Tabus, die zerstört werden müssen, wenn wir nicht ewig daran würgen sollen“ (S. 80), so Tabori, der von nun an der radikale Gegenpol zur „Holocaust-Literatur des guten Geschmacks“ wird.
Erwähnt seien hier noch die weiteren wichtigen Stationen von Taboris Leben: „Bremer Theaterlabor“ (1975 – 78), wo er endlich seine Erfahrungen, die er im New Yorker „Actors Studio“gesammelt hatte, konsequent verwerten konnte. Typisch dafür das „laissez faire“-Prinzip des Regisseurs gegenüber seinen Schauspielern: Die Inszenierung wird gemeinsam erarbeitet, der Regisseur selbst zwingt niemandem etwas auf. Anfang der 80er Jahre provozierte Tabori in München, beschäftigte sich intensiv u.a. mit Beckett. Dann folgt das Theater „Der Kreis“ in Wien; im Mai 1987 die berühmte Inszenierung von „Mein Kampf“ am Akademietheater, weitere Inszenierungen und Stücke für Peymann (u.a. Becketts „Endspiel“; „Goldberg-Variationen“). Schließlich der Umzug nach Berlin, wo Taboris Stück „Die Brecht-Akte“ den Auftakt zur Ära Peymann am Berliner Ensemble markiert.
Ein bewegtes Leben, dem die Biografin Anat Feinberg mit vermutlich aufwendiger Recherche nachgegangen ist. Für jene, die Taboris Arbeit vor allem aus Wien kennen, ein besonders interessantes Buch, zeigt es doch die Wurzeln von Taboris Arbeit auf, ohne die seine spätere Bühnenarbeit nur schwerlich zu verstehen ist. Die spannende Lektüre wird nur leider durch zwei Faktoren beeinträchtigt: Zum einen unterlaufen der Autorin hin und wieder kleine Fehler: das Theater „Der Kreis“ in der Porzellangasse befand sich nicht im 8. Bezirk, wie die Autorin schreibt, sondern im 9., eben „in der unmittelbaren Nähe zu Sigmund Freuds Wohnung in der Berggasse 19“, ein kleiner, aber feiner Unterschied. Auch dass etwa die vier Roma, denen Elfriede Jelinek mit „Stecken, Stab und Stangel“ ein Requiem setzte, nicht bei einem „rechtsradikalen Brandanschlag“ starben, sondern in eine hinterhältige, präzise geplante Bombenfalle gelockt wurden, ist nicht ganz unwesentlich.
Was an dem Buch leider noch mehr stört, ist der korsettartige Aufbau, dem die Biografien innerhalb der Reihe „dtv portrait“ unterworfen sind. Gibt es bei den rororo-Mnografien offenbar die Devise „Ein Foto pro Seite, egal wie gut das Foto ist“, so sind es hier die Erklärungen, Glossen etc., die aus Layout-Gründen den unteren Rand jeder Seite „zieren“ (Fotos gibt es dafür recht wenige, vielleicht aus Kostengründen). Manche dieser Erklärungen sind aufschlussreich und passen tatsächlich zu der Stelle, die darüber steht; andere wiederum sind beliebige Zitate oder Erklärungen, die man einem halbwegs mündigen Leser ersparen könnte. Etwa dass der britische Regisseur Alfred Hitchcock „vorwiegend raffinierte Thriller“ gedreht hat (S. 48). Hätten wir sonst nicht gewusst. Dann wieder findet man eine „Teilliste“ von Büchern von Paul Tabori: ohne Kommentar (S. 60), worum es sich bei den Titeln handelt, einfach so – ohne wirklichen Nutzwert. Im Umfeld der Kafka-Kollage, die Tabori im München auf die Bühne bringt, wird dann das tausendmal verwendete Kafka-Zitat vom Buch als „die Axt für das gefrorene Meer in uns“ (S. 100) wieder einmal bemüht etc. Aber das ist offenbar ein Zugeständnis an die Lesegewohnheiten, die das Layout von Zeitschriften immer öfter auch in Bücher überträgt. Kleine, feine Häppchen statt langer Lauftext. Hätte man etliche dieser „Glossen“ weggelassen, hätte das dem durchaus lesenswerten und anspruchsvollen Buch mit Sicherheit keinen Abbruch getan.