Auswendiglernen erwies sich bei Okopenko bis dato als sicherste Strategie. Jahrzehntelang waren die Bücher des Autors nicht auf dem Markt präsent, es fehlte an einem Verlag, der sich des Gesamtwerkes annahm. Mit dem Klagenfurter Ritter-Verlag scheint jetzt ein solches Unternehmen gefunden. Nach Neuauflagen von „Meteoriten“ und „Kindernazi“ bringen die Kärntner jetzt die Gesammelten Aufsätze Okopenkos heraus, ein zweibändiges Werk, das – wie es im Untertitel heißt – „Meinungsausbrüche“ aus fünf Jahrzehnten versammelt.
Daß die Meinung „ausbrechen“ kann wie andernorts die Malaria, ist eine schöne Vorstellung. Besonders dann, wenn man sich die Art der Okopenkoschen Ausbrüche vor Augen hält. Nicht heftig und eruptiv (wie das Gekotzte des Stammtisches) bahnt sich die Meinung ihren Weg, sondern zaghaft, mit langsam erhöhter Temperatur. Ende der 50er Jahre zeigen sich an Okopenkos Meinung die ersten Fieberschübe: Ohne ein dogmatischer Linker zu sein, tritt der Autor als ein vehementer Kriegsgegner in Erscheinung. Markant hebt sich die Art von Okopenkos Engagement von den Männerwelten der 50er und 60er Jahre ab: Manch einem und manch einer gilt der Autor als der erste österreichische Feminist.
Programmatisch emanzipatorisch ist auch Okopenkos Literatur. Über seine zwei zentralen Vorstellungen (das „Fluidum“ und die „Konkretion“) hat der Autor lange und ausführliche Aufsätze geschrieben, deren Lektüre heute noch lohnt. Letztlich geht es dem Autor darum, die Welt in direkter Weise, vorurteilsfrei und ohne ideologische Brille wahrzunehmen. Für diese unmittelbare Sicht der Dinge nimmt er einen Subjektivismus in Kauf, der ihn bei den Vertretern einer rigideren Avantgarde (also nicht zuletzt bei den Mitgliedern der „Wiener Gruppe“) nicht nur verdächtig, sondern unmöglich macht. Den Herren Wiener, Bayer etc. war es eben nicht um die Individualität des Erlebens und die Intensität des Augenblicks, sondern um die Hintergründe der Wahrnehmung und die Inszenierung von Individualität zu tun – ein Ansatz, der ebenfalls marginal blieb, aber im Vergleich der erfolgreichere war.
Interessant ist es, an fünf Jahrzehnten Okopenkoscher „Meinungsausbrüche“ abzulesen, wie perfekt es der Autor verstand, sich mit seinen Statements zwischen alle Stühle zu setzen. Punktuell ist hierbei ein recht aggressiver Autor zu entdecken, beispielsweise dann, wenn es gegen jene Art von „revolutionärem“ Engagement geht, wie es Elfriede Jelinek vertritt. Okopenko hat den 1970 publizierten Band „wir sind lockvögel baby“ rezensiert und an ihm kein gutes Haar gelassen.
Unbestritten sind Okopenkos literarhistorische Beiträge. In seinem Aufsatz „Die schwierigen Anfänge österreichischer Progressivliteratur nach 1945“ legt der Autor die Fakten und Details dar, in seinen Texten über Ernst Kein, Hertha Kräftner und René Altmann (hervorgegangen aus einer Vorlesungsreihe in der „Alten Schmiede“) schafft er gültige Porträts der Dichterkollegen. Auch von gänzlich unbekannten Autoren ist bei Okopenko zu lesen: Leopold Pötzlberger, Hermann Ölkrug und Daniel Wisser.
In ihrer Höchstform präsentieren sich Okopenkos Meinungsausbrüche dort, wo sie in sich aktive Viren tragen. Man könnte sich gut vorstellen, daß sich manch einer unserer gutbezahlten Meinungsprofi an diesen kleinen, gemeinen Konkurrenten nachträglich eine Verschnupfung zuzieht. Beispielsweise dann, wenn der Autor ein Statement zum Thema „Lauschangriff und Rasterfahndung“ mit dem grenzgenialen Titel versieht: „Rauschangriff und Lasterfahung“. Oder einem anderen Ausbruch den Titel „Schengen und Hängen“ gibt – man würde sich wünschen, wir hätte in diesem Land mehr davon.