#Lyrik

Gesammelte Gedichte 2

Theodor Kramer

// Rezension von Daniela Strigl (Hrsg.)

Theodor Kramers Rückkehr zum Zsolnay Verlag – wo er 1931 seine erfolgreichen Weltkriegsgedichte publizierte – wird nicht nur durch die Neuausgabe der thematischen Auswahl der Liebesgedichte „Laß still bei mir dich liegen“ besiegelt: Auch der zweite Band der dreibändigen Gesammelten Gedichte, der vergriffen war, ist nun in zweiter Auflage erschienen. (Etliche der ausgewählten Liebesgedichte sind ihm entnommen.) Auf den ersten Blick schmäler als sein Vorgänger, erweist er sich als genauso umfangreich; die neue Handlichkeit verdankt sich nur dünnerem Papier. Der Band enthält fast alle von Kramer zusammengestellten, aber nicht gedruckten Manuskripte.

Das Spektrum reicht vom frühen, expressionistisch getönten Zyklus „Die Pest“ (1925) bis zu den drastischen (Kramer) „Oh Marie“-Gedichten der fünfziger Jahre, die nicht zuletzt von den altersbedingten Lamenti einer Prä-Viagra-Epoche geprägt sind. Der Herausgeber und Nachlaßverwalter Erwin Chvojka legt im Nachwort Wert darauf, daß bei einer derartigen Ausgabe „nicht immer nur der künstlerische Wert des Aufgenommenen, sondern gelegentlich auch sein biographischer oder exemplarischer zu zählen hat.“ Dennoch ist der reine, der sozusagen klassische Kramer hier reichlich vertreten – mit den „Zeitungsausschnitten“ zum Beispiel, einer Serie von um 1930 entstandenen Gedichten, die, inspiriert von Meldungen des Chronikteils, einen eigenwilligen Ton in den modischen Chorus der Neuen Sachlichkeit bringen. Oder mit dem Band „Das Lied vom Ungebleichten“, der an die Sammlung „Mit der Ziehharmonika“ (1936) anknüpfen sollte, jedoch im Österreich Schuschniggs keinen Verleger mehr fand. Den „Ungebleichten“, den reinen Kornschnaps, sieht Kramer selbst als das seiner Lyrik angemessene Elixier: brennend scharf und klar, unverfälscht und plebejisch. So finden sich neben intensiven Landschaftsbildern von Lößgräben und Ziegelfeldern auch die charakteristischen Rollengedichte wie „Brief eines Zuckersieders“, „Werkwächters Taglied“ und „Abgebauter im Büro“.

Schlicht „England“ heißt der erste im Exil zusammengestellte Band, in dem Kramer sich auch, wie er es einmal ausgedrückt hat, in persönlichen Gedichten „gehen läßt“. – „Fremd in London“ ist hier ein glühender österreichischer Patriot, einer, der trotz Entwurzelung und Heimweh Selbstachtung zu bewahren versucht: „Was ich kann,/ist: Gedichte schreiben, wie keiner sie schreibt,/und brunzt auch kein Hund mich hier an.“ Übermächtig wird jedoch für den verbannten Dichter schließlich das Gefühl, isoliert, abgekoppelt und in jeder Hinsicht zu spät dran zu sein: „ich schreib nur noch, was war, nicht, worum’s geht“.

Dem Umstand, daß Kramer in England Werk und Welt der dreißiger Jahre unverdrossen, ja besessen fortschreibt, verdanken wir zwei höchst sinnliche Sammlungen. „Von den nötigen Trünken des Markthelfers“ ist in der einen Rede, von Moststuben und kleinen Schenken, „Vom Gabelfrühstück des Fleischhauers“, aber auch, in versifizierten Kochrezepten, „Vom Kuttelfleck“ und „Vom Reisfleisch“. Der andere Band, „Liebe im Heu“, versammelt Wandergedichte, denen keineswegs anzumerken ist, daß ihr Autor die lyrisch durchmessene Landschaft seit Jahren nicht mehr betreten hat. So konventionell Strophe und Reim anmuten, so einzigartig ist Kramers Vokabular, das die Besonderheiten einer aussterbenden Welt konserviert – und auch für diesen Band ein ausführliches Glossar (nicht nur für bundesdeutsche Leser) nötig macht.

Theodor Kramer Gesammelte Gedichte 2
Gedichte.
Hg.: Erwin Chvojka.
Wien: Zsolnay, 1998.
624 S.; geb.
ISBN 3-552-04867-7.

Rezension vom 15.06.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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