#Prosa

Geschichten vom Dorf

Hanna Molden

// Rezension von Helmuth Schönauer

Im Zeitalter des Infotainments, also der perfekten Vermischung von Information und Unterhaltung (Entertainment), entwickeln sich immer wieder literarische Zwitterformen, die je nach Tagesverfassung des Rezipienten dem einen oder anderen Bereich zugeordnet werden können. In der zur Zeit auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs („Krone“) folgt etwa dem Tageskommentar jeweils als „krönender“ Abschluß ein Tagesgedicht „In den Wind gereimt“, und diese Hardcore-Lyrik an der Bruchstelle zwischen Information und Unterhaltung ist für sich genommen bereits eine eigene Literaturgattung. Im hinteren Bereich der Krone gibt es ab und zu Miniaturen, die in unterhaltsam-informativer Weise die allgemeine Berichterstattung literarisch ergänzen.

Für die Tiroler Ausgabe der „Krone“ verfaßt Hanna Molden immer wieder glossenartige „Dorferzählungen“, von denen nun vierundzwanzig unter dem Titel „Geschichten vom Dorf“ in einem kleinen Sammelband erschienen sind. Hanna Molden gelingt es mit ihren „Geschichten vom Dorf“, ergriffen und doch distanziert genau jene Feinheiten aufzuzeichnen, die nachdenklich stimmen, ohne daß man gleich den Kopf mitsamt den Argumenten wegwirft. Ihr Geheimnis ist, daß sie die Figuren mit Bewunderung beschreibt, während diese einer Kritik unterzogen werden.

Bereits in der ersten „Miniatur“ werden die Einheimischen mit jener Bewegtheit dargestelt, die sie selbst kaum noch an den Tag legen und oft nur mehr vom Hörensagen kennen. In der Zwischensaison finden diese Figuren scheinbar kurzfristig zu sich selbst, was sie tatsächlich selbst am meisten überrascht. Man erkennt diese durch den Erzählblitz aufgeklärte Einheimischen an der Art, wie sie am Gipfel den Mund halten, beim Abstieg im Schritt abrollen und in der Hütte den Tag mit leichter Musik und schweren Strophen ausklingen lassen. Neben diesen flächendeckenden Berg-Helden sind es die kleinen Spinner, die das Dorf unverwechselbar und lebenswert machen. Einer nennt sich „Ollroundla“, was auf Englisch jemand ist, der alles kann. Für ihn selbst gilt allerdings, daß er bei allem, was er angreift, Schiffbruch erleidet.

Ein regionaler „Polit-Heini“ wird mit der Zeit so präpotent und schwadronierend, daß ihn die eigenen Dorfleute nicht mehr mögen. Da fällt am Stammtisch das gewaltige Wort von der Schubumkehr. Nach diesem Volksrezept müssen jene, die einen Politiker zu weit in die Höhe geschoben haben, durch eine entsprechende Schubumkehr dafür sorgen, daß der hochnäsige Politiker wieder in die Nähe des Volkes und somit zu Sauerstoff kommt.

Aus der Ferne betrauert in einem angesehenen Feuilleton ein englischer Dichter das Sterben seines alpenländischen Sommerfrische-Dorfes, während man tatsächlich an Ort und Stelle seiner geliebten Bergwiese mit einem neuen Flächenwidmungsplan den Garaus macht.
Gerade dieser Erzählstandpunkt, der das Dorf von innen und außen gleichmäßig beleuchtet, macht diese Miniaturen interessant und bekömmlich, weil es zumindest in den Miniaturen ausgewogen und gerecht zugeht. Literarisch gesehen sind diese Dorf-Texte ein gelungener Versuch, den tagespolitischen Akutfall mit einer konventionell-zeitlosen Erzählweise zu verbinden.
Den klaren Geschichten sind Fotos von Gerhard Wartha beigestellt, wo es durchaus auch einmal regnen kann, wenn den Geschichten danach ist.

Hanna Molden Geschichten vom Dorf
Tiroler Miniaturen.
Mit 13 Photographien von Gerhard Wartha.
Wien: Molden, 1998.
159 S.; geb.
ISBN 3-85485-012-3.

Rezension vom 28.12.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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