Eine sine ira et studio geschriebene wissenschaftliche Monografie über sie, eine Würdigung ihres Rangs als Erzählerin und eine genaue Bestimmung ihres Orts in der Literatur Österreichs ist also ein Desiderat. Leider bleibt sie nach dieser Veröffentlichung ein solches.
Hackels Buch, immerhin „sine ira“ und nur in Maßen „cum studio“ geschrieben, ist kaum mehr als eine oberflächliche Einführung in die Romane der Autorin (mit Ausnahme des ohne jede Begründung nicht einmal genannten In deine Hand gegeben von 1954). Der Verfasser behandelt ein Buch nach dem anderen, fast ohne Querverweise, mit (zu) seltenen Überlegungen zur Entwicklung der Autorin. Es fehlt jedes vertiefte Eingehen auf Form und Sprache – obwohl gerade im Bändigen der Fülle der Einfälle durch komplexe Strukturen (etwa in Zeit des Raben, Zeit der Taube) die Qualität der Romane Fusseneggers liegt. Ein später Brief der Autorin über Geschlecht im Advent (37) wie der von Hackel erwähnte, aber nicht belegte stilistische Wandel schon innerhalb des Werks vor 1945 (64), das Eindringen umgangssprachlicher Wendungen in die Pulvermühle (343) und deren komplexe Struktur – Rainer Hackel spricht in anderem Zusammenhang vage davon, Fussenegger habe „den gleitenden Wechsel der Erzählperspektive“ von Faulkner übernommen (310) – , nicht zuletzt ihre von Hackel gar nicht erwähnten poetologischen Essays beweisen wie vieles Andere das Nachdenken der Autorin über Fragen der Form. Das Buch beschränkt sich jedoch auf Andeutungen – viel zu wenige, um die Lösung der Dichterin von den Mustern ihrer Anfänge, vom Dogma der Antimoderne zu belegen und damit den Blick auf ihr Werk von den die Rezeption bestimmenden Vorurteilen zu befreien.
Hackels Kenntnisse der Erzählanalyse reichen dazu nicht aus; er spricht beispielsweise so konsequent vom „Erzähler“, dass er den Terminus selbst dort gebraucht, wo eindeutig die Autorin gemeint ist. Aus Borchmeyers ausgezeichnetem Vorwort erfährt man über Gertrud Fusseneggers Erzählkunst fast mehr als aus Hackels umfangreicher Darstellung. Diese reduziert die Romane auf Inhaltliches – weite Passagen bleiben Nacherzählungen – und Gedankliches, wobei der Verfasser dazu neigt in den Büchern relativ einfache Thesen zu finden (z. B. „Pathogenese des Bürgertums“, 209). Es ist ein Kompliment für die Fähigkeiten der Autorin, dass Hackel ihre Figuren mit realen Menschen verwechselt und über deren Motivationen nachdenkt, aber sie sind eben erfunden und in einen Romantext integriert.
Der Verfasser nennt sein Vorgehen „textimmanent“ (26); doch verlangt gerade diese Methode genaue formale Analysen. Überdies ist sie für die vorliegende Untersuchung denkbar ungeeignet; selbst wenn man das Abstrahieren von den gesellschaftlichen Bedingungen der Fussenegger’schen Romane für statthaft hielte, ist der Verzicht auf den Vergleich mit anderen Schreibweisen inakzeptabel. Die Qualität eines Werks lässt sich nur durch den Blick auf Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, Vorgänger und Vorgängerinnen bestimmen, gerade in einer Epoche, in der innovative ausländische Einflüsse auf die Literatur der deutschsprachigen Länder so dominant waren wie nach 1945, sich ein (notwendiger, von Fussenegger zum Teil mitgemachter) Traditionsbruch größten Ausmaßes vollzog.
Mehrfach betont der Verfasser die Bedeutung der Geschichte für Gertrud Fussenegger; ihm selbst geht aber das Gefühl für den historischen Aspekt beispielsweise eines nach der Vertreibung der ‚Sudetendeutschen‘ geschriebenen Pilsen-Romans ab. Es unterlaufen ihm auch Fehler im Detail (z. B. 145 über Solferino; 332 über Südtirol; die Probleme der ‚allein‘ sozial ausgegrenzten Karrner in Tirol haben nichts mit der Rassenideologie der Nationalsozialisten zu tun, 58ff).
Man muss Hackel zugute halten, dass er sich kaum auf Vorarbeiten stützen konnte; doch hat er nach Ausweis seiner Anmerkungen auch die wenigen vorliegenden (zumeist ungedruckten) Arbeiten über die Autorin kaum genützt. Ebenso wenig scheint er einen Blick auf die Rezensionen der Romane geworfen zu haben. Man tut sich schwer ein – trotz einiger Klischees gut lesbares – Buch zu kritisieren, das durch die Wahl eines fast tabuisierten Themas Mut zeigt, die Schriftstellerin endlich unabhängig von der Frage ihrer frühen Sympathien für den Nationalsozialismus behandelt und den Blick auf die Qualität ihres Werks richtet. Leider mit ungenügenden Mitteln. Gertrud Fussenegger hätte ein besseres Buch verdient.