#Lyrik

Gin zu Ende, achtzehn Uhr

Alexander Peer

// Rezension von Erkan Osmanovic

Auf der Suche nach der verlorenen Nähe

Gin zu Ende, achtzehn Uhr ist das Leben im Kleinen: ein Schauspiel – mit uns in der Hauptrolle, wie es in Allein heißt: „Wir leben vermutlich unbeobachtet, / weder ist die Sünde eine solche, / noch ist der Triumph mehr als das, / was wir in diesem Moment zu empfinden fähig sind.“ All die Aufs und Abs, das Unglück und die Euphorie bloß für den Applaus der anderen? Wer sind denn die anderen? Die eigenen Liebschaften? Wie es in Frauenpower heißt: „Es gab Frauen, zu denen mir nichts einfiel, / obwohl ich stundenlang auf ihrer Psyche lag. // Es gab Frauen, die mich vielleicht / nicht vergaßen, aber so taten als ob. // Es gab Frauen, denen ich nachlief, / ich wünschte, es wäre bei hundert Metern geblieben.“

Oder liegt das Glück unseres Lebens versteckt in den Argumenten Kants, den Worten Hegels oder den Zweifeln Descartes? Peers Gedichte spannen ein Netz an Möglichkeiten. Und doch wird klar: Am Ende zählt die Nähe zu anderen. Sie ist es, die uns zu uns macht. Peer gelingt es in seinen Gedichten ebendiese Nähe zu evozieren. Etwa in Schlafwach im Innergebirg: „Geschichte ist ein anderer. / Eingeschrieben in den / Mohn ist der Schlaf, / der mich bewacht. / Über und über / blühende Versprechen, / die erst durch meinen / Blick wahr werden.“

In Lyrik getauchte Prosa

So sind auch Peers Gedichte keine Gedichte im klassischen Sinne. Es sind vielmehr Geschichten über das Verlangen und den Verlust der Nähe zur Natur wie in Ästhetik: „Was die Natur / aus sich hervorbringt, / würde selbst einen Gott / faszinieren. // Wir lieben Paradoxa, träumen vom unbewegten Beweger, / der angesichts seiner / Schöpfung erstaunt wäre. // Die Blüte ist immer eine Versuchung.“ Aber auch die Distanz unseres vermeintlich modernen Lebens wird offengelegt, wenn Peer etwa in Gerippe über unsere gefährliche Abhängigkeit nachdenkt: „Das bedingungslose Lieben ist genauso / schwer wie das bedingungslose Grundeinkommen, / weil Geld nie ohne Bedingung auftritt / und Liebe – als Unterwerfung verstanden – / seltsam selbstlos dampft.“

Was bedeuten Begriffe wie Natur, Sehnsucht oder Kultur? Natürlich gibt es wissenschaftliche Definitionen und Erklärungen. Aber die Gefühle, die wir damit verbinden, sind mehr als nur Konzepte – es sind Assoziationen ohne Grenzen. So meiden auch Peers Zeilen harte Schnitte, weichen klaren Enden aus und konzentriert sich so auf die poetische Ausbreitung von gedanklichen als auch zwischenmenschlichen Momentaufnahmen. Die das Buch strukturierenden Fotografien unterstreichen dieses Oszillieren.

Man verliert sich in Peers Worten und Versen. Zeile um Zeile nähert man sich der Liebe, dem Leben – aber auch dem Tod. Und plötzlich ist das letzte Gedicht gelesen. Peer lässt uns mit Gin zu Ende, achtzehn Uhr allein zurück: Allerdings mit einem geschulten Blick für den Zauber eines jeden Moments.

Alexander Peer Gin zu Ende, achtzehn Uhr
Gedichte.
Mit Fotografien von Alexander Peer und einem Essay von Daniela Chana.
Innsbruck: Limbus, 2021.
96 S.; geb.
ISBN 978-3-99039-213-3.

Rezension vom 31.12.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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