Zudem: „in den jüngsten Inszenierungen wurden alle Spielarten modernen Regietheaters“ an ihm „durchexerziert“ (Wöhrle), herausragend zweifelsohne durch Martin Kusej am Burgtheater im Jahr 2002. Solch intensives Interesse der Bühnen an Horváths „kleinem Totentanz“ mag sich der (allerdings doch eher oberflächlichen) Aktualität seiner Thematik des Aus-der-Bahn-Geworfenwerdens in Zeiten prekärer Dienstverhältnisse verdanken. Jedoch nicht nur: Vielmehr überzeugt es dramaturgisch und überschreitet trotz deutlichem Zeitbezug (auf den Höhepunkt der Massenarbeitslosigkeit im Entstehungsjahr 1932) historische Festlegungen als ein Stück über Liebe und Tod, über das zwangsläufige Münden von Liebe in den Tod. „Der Tod ist allgegenwärtig in Horváths Werk“ (Herbert Gamper). So ist er auch in Glaube Liebe Hoffnung von Anfang an (durch die Lokalisierung, Elisabeths Ansinnen, erstes Gespräch mit dem Schupo) im Spiel und mit ihm das schon dem „realistischen“ Horváth der Volksstücke so wichtige „Unheimliche“. Dieses lässt von vornherein erahnen, dass es mit Elisabeth kein gutes Ende nehmen wird, dass sie so wie Marianne in den Geschichten aus dem Wiener Wald der „Liebe nicht entgehn“, d.h. nichts anderes als das Opfer der tödlichen Auswirkungen einer vermeintlichen Liebesbeziehung (mit dem Schupo) werden wird.
Es ist verdienstvoll, dass der Suhrkamp-Verlag nach den Geschichten aus dem Wiener Wald, Kasimir und Karoline sowie Italienische Nacht nun auch das vierte der großen Volksstücke Horváths im Rahmen seiner BasisBibliothek vorlegt. Diese Reihe richtet sich in erster Linie an Studierende. Dementsprechend bestimmen didaktische Überlegungen die Gestaltung. Keine Rolle spielen daher bei dieser Edition textkritische Kriterien – sie folgt der „kommentierten Werkausgabe“ von 1986. Wichtig sind vielmehr die Erläuterungen und Kommentare, biographische Informationen sowie Materialien zur Entstehungsgeschichte des Stücks, zur Poetik Horváths, zur Rezeption von Glaube Liebe Hoffnung auf der Bühne, in der Kritik und Literaturwissenschaft. Den Apparat hat, in bewährter Weise wie schon bei den anderen genannten Horváth-Dramen, Dieter Wöhrle besorgt. Im jüngsten Band bietet er allerdings gegenüber diesen ein kleines Mehr in Form eines „Ausblick[s]: Warum bei Horváth das einzelne Wort zählt“, sprich: einer interpretatorischen Annäherung an Glaube Liebe Hoffnung, die in ihren allgemeinen Beobachtungen zu den Besonderheiten der Dramaturgie des Autors im übrigen auch eine recht gute Einführung für seine anderen Volksstücke bietet.
Der „Bildungsjargon“ Horváths sowie seine Orientierung am süddeutschen Sprachgebrauch lassen nicht nur im Hinblick auf das Zielpublikum Worterklärungen angebracht erscheinen. Kurze Informationen über einzelne Wörter finden sich in Marginalspalten, ausführlichere zusammen mit Sacherläuterungen im Anhang. Die meisten sind hilfreich und korrekt, einige vielleicht überflüssig, wie zum Beispiel die Erklärung von „katalogisieren“. Und nur sehr wenige sind problematisch, etwa weil – wie schon die vorangegangenen Bände erkennen ließen – die landschaftliche Zuordnung sprachlicher Besonderheiten nicht unbedingt das Spezialgebiet des Kommentators zu sein scheint: „süddeutsch“, „bayrisch“ und „österreichisch“ geraten ihm durcheinander (oder verwendet er sie synonym?). So findet sich beispielsweise das Adjektiv „damisch“ für „dumm“ nicht nur in Bayern, sondern sehr wohl auch in Teilen Österreichs. Aber das ist vergleichsweise ebenso unerheblich wie die Tatsache, dass das Kartenspiel Tarock nicht ausschließlich zu dritt, vielmehr auch zu viert gespielt werden kann. Stärker und positiv ins Gewicht fällt da schon die Leistung Wöhrles, durch seine Erläuterungen, den Abdruck einiger Dokumente und den erwähnten „Ausblick“ einen brauchbaren Apparat für ein umfassendes Verständnis des Stücks und darüber hinaus der Dramaturgie Horváths zusammengestellt zu haben.
Wöhrle nimmt die Einsicht, dass „bei Horváth das einzelne Wort zählt“, ernst. So schon treffend in Bezug auf die Umstellung der Wortabfolge im Titel gegenüber dem Neuen Testament. Sie ist ihm ein Indiz dafür, dass dem Autor im Gegensatz zur Paulinischen Auffassung die „Liebe“ nicht als das „Größte“ gilt, dass vielmehr die „Hoffnung“ zum Fluchtpunkt bestimmt scheint, die aber ihrerseits wiederum schon durch die Gattungsangabe „Ein kleiner Totentanz“ konterkariert wird. Besonders wichtig zu zeigen ist dem Kommentator, wie Horváth mit Wörtern „spielt“, etwa zum Zweck der Demonstration von Sprachleerlauf bei gedankenlos hingeworfenen Phrasen („Die Pflicht ruft“, „Pflicht ist Pflicht“), die dann doch bedeutsam werden für die – wie es Horváth selbst nennt – „Demaskierung von Bewußtsein“ (wenn „Pflicht“ vom Schupo und vom verhinderten Lebensretter Joachim „bewusst“ als „Handlungsmotiv“ zur Verschleierung von tatsächlicher Unmenschlichkeit, Gefühlskälte beziehungsweise Berechnung ins Treffen geführt wird). Wöhrle nennt es „sprachliche Funken, die Horváth aus bestimmten Wörtern schlägt“, beispielsweise aus dem Begriff „Korsett“, der wörtlich, aber vom Schupo auch im übertragenen Sinne gebraucht wird in der ungewöhnlichen Formulierung „Tu deinen Gefühlen nur kein Korsett an“, um so das „Korsett der Sprache“ bewusst zu machen, in das die Dramengestalten gezwängt sind.
Eines der (durchaus erreichten) Ziele des Kommentars musste es sein, auf das gewissermaßen Verräterische des Sprachgebrauchs von Horváths Figuren aufmerksam zu machen und damit eine Basis zu legen für das Verständnis der wirkungsästhetischen Vorstellungen, die der Autor in der dem Stück Glaube Liebe Hoffnung vorangestellten Randbemerkung sowie in seiner (im Anhang des vorliegenden Bandes abgedruckten) Gebrauchsanweisung entwickelt hat. Nachdrücklich verweist Wöhrle auf die dramaturgischen Kunstgriffe Horváths. Von der ersten Szene an, in der Elisabeth und der Schupo einander zum ersten Mal begegnen, dominieren, wie schon angedeutet, Hinweise auf die Todgeweihtheit Elisabeths durch die Ortswahl („Vor dem Anatomischen Institut“), durch immer wieder kehrende Musikzitate (schon eingangs ertönt Chopins „Trauermarsch“) und verschiedene Bilder des Todes. Wie in den anderen Volksstücken sieht Wöhrle in der kreisförmigen Anlage des Stücks die Unausweichlichkeit von Elisabeths „Schicksal“ sinnfällig zum Ausdruck gebracht: sie landet dort, wo sie hinwollte, um überleben zu können: im anatomischen Institut.
Es kann nicht Aufgabe eines Bandes der BasisBibliothek sein, die Horváth-Forschung voranzutreiben, es ist dem Herausgeber und Kommentator allerdings zu konzedieren, dass er auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist, etwa in der Erläuterung der überaus wichtigen dramaturgischen Funktion der Stille, die bei Horváth nicht einfach eine Pause meint, sondern einen Moment, in dem „Bewußtsein und Unterbewußtsein miteinander“ kämpfen (Gebrauchsanweisung). Und auch in der Auswahl für seinen komprimierten Forschungsbericht wählt er sehr geschickt die wichtigsten „Deutungsansätze“ aus, schenkt zurecht Ingrid Haags „bislang ausführlichster Interpretation von Glaube Liebe Hoffnung im Rahmen ihrer Studie über Horváths Fassaden-Dramaturgie am meisten Beachtung, fordert aber implizit zu intensiverer Auseinandersetzung mit diesem von der Forschung, wie eingangs erwähnt, etwas vernachlässigten Stück auf. Eine gelungene Einführung in den „kleinen Totentanz“ nicht nur, sondern auch in die Besonderheiten von Horváths Dramatik, empfehlenswert mithin vor allem für Horváth-Einsteiger.