Als möglicherweise für das Werk beider Autoren gemeinsame Quellen untersucht er zunächst Hartmann von Aues Versepos Gregorius der gute Sünder (1902 besuchte Franz Kafka an der Prager Universität eine Vorlesung über Hartmann von Aue) – Namensvetter Gregor Samsas ebenso wie des Grigorß aus Thomas Manns Roman Der Erwählte.
Hinweise auf Leopold von Sacher-Masochs Roman Venus im Pelz in Verbindung mit Kafkas Verwandlung sind der Sekundärliteratur seit langem bekannt, in ihrer Glaubwürdigkeit aber unterschiedlich bewertet. In Gregors Zimmer hängt ein Bild, „vor kurzem aus einer illustrierten Zeitschrift ausgeschnitten und in einem hübschen, vergoldeten Rahmen untergebracht“, das eine Dame darstellt, „die mit einem Pelzhut und einer Pelzboa versehen, aufrecht dasaß und einen schweren Pelzmuff, in dem ihr ganzer Unterarm verschwunden war, dem Beschauer entgegenhob“.
Die Einführung dieses Bildes bereits in der Introduktion und die zentrale Rolle, die Gregor selbst ihm zuordnet – er rettet es mit seinem Käferleib bei der totalen Ausräumung seines Zimmers durch die Schwester Grete – verleihen der Pelzdame einen zentralen Stellenwert in seinem (erotischen) Verhältnis zur Schwester .
Ähnlich Gregor Samsa verwandelt sich Gregorius bei Hartmann von Aue wie bei Thomas Mann in eine tierhafte Gestalt, wenngleich sich die Degradationsverwandlung ins Dumpf-Tierhafte hier als reversibel erweist. Gregor Samsa verliert mit der Abwendung der Schwester den einzig möglichen Gegenzauber – die Befriedigung seiner erotischen Wünsche – und damit ganz eigentlich auch die Lust auf Rückverwandlung in seine unbefriedigende Existenz als Mensch.
Denn Gregor bleibt in seiner Tiergestalt nicht nur seine menschliche Reflexionsfähigkeit erhalten, vielmehr gelingt ihm erst in seiner neuen Lebensform ein klarer Blick auf das Entwürdigende und Glücklose seiner vormaligen menschlichen Vertreterexistenz.
An diesem Punkt zieht Holger Rudloff eine Verbindungslinie zu Hans Castorp aus Thomas Manns Zauberberg. Beide Protagonisten erleben ihre jeweilige Geschichte in einem Raum, der vom bürgerlichen Gesellschaftsleben abgetrennt ist und beide „richten sich in der Verwandlung bzw. Verzauberung zufrieden ein“ (S. 56).
Die antibürgerliche Welt von Zeitlosigkeit und Pflichtvergessenheit fördert in beiden Fällen verdrängte sexuelle Wünsche zu Tage, die sich in erotisch aufgeladenen Details manifestieren und von einem Bildfetischismus ihren Ausgang nehmen.
Hans Castorps Umgang mit Clawdia Chauchats Porträt bzw. später ihrem Lungenröntgen – aufbewahrt in einem geschnitzten Miniaturrahmen – weist verblüffende Parallelen zu Gregor Samsas Umgang mit der Pelzdame auf. Auch an der Figur Adrian Leverkühns aus Thomas Manns Doktor Faustus entwickelt Rudloff analoge Strukturen und Aspekte (Bildfetischismus, Bestrafungsfantasie, radikaler Rückzug aus der Gesellschaft ohne Rückkehrwunsch etc.).
Holger Rudloff ist eine interessante und vielschichtige Motivanalyse gelungen, die mit dem Aufweis möglicher verborgener intertextueller Bezüge Impulse für neue Lektüren – und wohl auch Mißverständnisse – liefert.