Irgendwie waren wir doch alle dabei, damals in Hainburg. Also nicht unbedingt leibhaftig, aber doch jedenfalls im Geiste – so wie Martin Rauch, der die kriegerischen Ereignisse in seiner mäßig geheizten Innsbrucker WG vor dem Fernsehapparat verfolgt, wobei er sich weniger für den Ausgang der Schlacht in der Au interessiert als für den Kerl, der da allzu traulich neben seiner, Rauchs, derzeitigen Freundin am Lagerfeuer sitzt. Die Verknüpfung von Privatem und Politischem ergibt den roten Faden der „Grünen Zeiten“. Grün waren die Zeiten der achtziger Jahre, weil sie eine Bewegung gebaren, die damals noch keine Partei werden wollte. Und weil ihre Akteure, jedenfalls in diesem Roman, allesamt Greenhorns waren.
Der Abstand von eineinhalb Jahrzehnten erweist sich als groß genug, um über die eigene Vergangenheit schmunzeln zu können: Martin ist anno 1984 „noch immer nicht dreißig“, hat also „die gefürchtete Hochfläche, diese Wasserscheide aller Biographien“, noch vor sich. Der Roman erzählt von den Mühen der Ebene und des Gebirges. Martins Hauptbestreben ist es, der ihn phasenweise quälenden Unbeweibtheit abzuhelfen, was ihm trotz mangelnder Initiative immer wieder gelingt. Wirklich schwierig gestaltet sich in Zeiten betont selbstverständlicher Freizügigkeit nicht die sexuelle Eroberung, das erste Dutzend „gemeinsam verbrachter Abende mit anschließendem Kennenlern-Geschlechtsverkehr“, sondern die Installation eines geordneten Verhältnisses. Denn das Leben in der Wohngemeinschaft garantiert Martin eine angenehm pflichtenlose Verlängerung seines Jünglingsalters.
Martin ist ein Lauer; einer, der sich für alles in der Welt irgendwie interessiert, dem es aber an Leidenschaft und Tatendrang fehlt. Dennoch wird er vom Zug der Zeit mitgerissen. Ein schaumbedeckter Gebirgsbach in Südfrankreich wird zum Erweckungserlebnis: Martin reiht sich in die Streiter der Alternativen Liste ein, partizipiert an basisdemokratischen Krämpfen und Kämpfen gegen die Atomkraft und die Multis, das Waldsterben und den Transit. Was heute dem Landeshauptmann Gelegenheit für einen Auftritt der volksverbundenen Art gibt, war damals jedenfalls ein konspirativer Akt: Sie „leisteten Widerstand in Wort, Schrift und Tat.“ Die WG ist das Exerzierfeld der alternativen Weltanschauung: von den Pioniertagen der Mülltrennung bis zu der fundamentalen Frage, ob moderne Männer sich zum Pinkeln (hier Pieseln genannt) hinsetzen müssen.
Walter Klier behandelt die rebellischen „Riesenbabies des Bürgertums“ mit satirischer Lust am Exempel: wie sie am Wochenende die schmutzige Wäsche zu ihren Müttern tragen; wie sie untereinander um den Status der Armut wetteifern; wie sie ihrer alpinen Italophilie in ihrem verrucht verrauchten Stammlokal Ravenna frönen; wie sie den Computer als technokratisches Teufelszeug verwünschen und sich lieber an den Mond halten; und wie die Verhütung ein „tragender Pfeiler der Weltanschauung“ wird. Bei aller Unterhaltsamkeit und Intelligenz krankt die Erzählökonomie des Buches jedoch an einer gewissen Verzettelung: allzuviele Räusche und Katzenjammereien, allzuviele prägnant porträtierte Personen, allzu penibel geschilderte Haushaltsheldentaten. Dafür reißt der eine oder andere narrative Faden einfach ab: Da ist etwa davon die Rede, daß die von der WG bewohnte Villa denkmalgeschützt ist, ja unter dem besonderen Schutz des zuständigen Hofrats steht – und am Schluß soll sie sang- und klanglos abgerissen werden.
Vor allem aber schadet die ironische Distanz, die der Autor allem und jedem gegenüber walten läßt, dem Profil seines Alter ego. Wir erfahren zwar so manche Eigenheit – von der Lust am Zahnstocherkauen bis zur Vorliebe für patente Frauen, die herzhaft niesen und beherzt trinken können – aber der blasse Held bleibt uns in seiner Blässe fern, ja er verblaßt noch mehr in dem Maße, in dem das provinzielle Sittenbild der grünen Szene Farbe gewinnt. Über weite Strecken dient dieser Martin Rauch als erzähltechnische Aufhängevorrichtung für Kommentare zum Zeitgeschehen.
Es gibt eine Szene, die vom Illustrativen und Essayistischen weit entfernt ist: Auf einer Bergtour hört Martin vom Tal herauf eine unsichtbare Blasmusik spielen – „rings das Grün und Schwarz des wüsten Gebirgs […] und dazu schmetterten sie dort weit unten unverdrossen und berührend, weil es einen menschlichen Ton in das Tohuwabohu wenig entfalteter anorganischer Materie brachte“. Martin fühlt sich „auf eine stille und den Mitbewohnern später nicht mitteilbare Weise ergriffen.“ – Diesen Grund des nicht und irgendwie eben doch Mitteilbaren gälte es literarisch fruchtbar zu machen. Wir Leser wären dann nicht bloß beeindruckt und amüsiert, sondern vielleicht auch ergriffen.