Bereits Thurnhers 1999 erschienene und mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch des Jahres ausgezeichnete Analyse Das Trauma, ein Leben – österreichische Einzelheiten behandelt alle wichtigen Themen und Merkwürdigkeiten der österreichischen Geschichte, vom öffentlichkeitsscheuen Wirken der Sozialpartnerschaft, vom Austrofaschismus bis zum Feschismus (Copyright Thurnher), von der Macht der Kronen Zeitung und dem Aufstieg Haiders, von der Affäre Waldheim, bis zur Geschichte der Neutralität und dem Kampf der Parteien um das sogenannte „dritte Lager“ der Deutschnationalen und Nationalsozialisten. Liest man dieses Buches, erschließen sich Zusammenhänge, und es wird einem klar, warum Österreich so ist, wie es ist, welch unheilvolle Verknüpfungen zwischen Politik und Medien bestehen, wie wenig eingeübt die öffentliche Auseinandersetzung hierzulande ist. Wie lautet der Satz in Thurnhers wöchentlicher Falter-Kolumne: „Im Übrigen bin ich der Meinung, die Mediaprint muss zerschlagen werden.“
Zerschlagen wurde vorerst etwas anderes, von dem sich viele gar nicht mehr vorstellen konnten, dass es jemals zu Ende geht: SPÖ und ÖVP bilden keine Koalition mehr. Mit der Regierungsbeteiligung der FPÖ nimmt eine Ära ein Ende, die der allesumschlingenden und harmoniesüchtigen Sozialpartnerschaft. Österreich im Aufbruch? Daß sich veraltete, verkrustete Strukturen lösen, kann man aber auch nicht unbedingt sagen. Vorerst gerät Österreich ins Visier der EU. Man steht unter Beobachtung und fühlt sich: als Opfer. Die Frage, was wir falsch gemacht haben, stellt nicht kaum jemand. Thurnher wird nicht müde, danach zu fragen.
Sein neues Buch Heimniederlage analysiert die ersten Monate nach der Regierungsbildung im Februar dieses Jahres. Vom Aufbau her ähnelt es seinem vorangegangenen Österreich-Buch. Es beginnt mit Streiflichtern: Franz Fuchs, „das weggewischte Trauma“, Heinrich Gross, „die Kontinuität des Traumas“ oder die Sanktionen, „das verordnete Trauma“. Nach diesem einstimmenden Österreich-Panorama, das Fuchs, Gross, das Fitnessdenken, die Medienberichterstattung und die Big-Brotherisierung unserer Welt zusammendenkt, vertieft sich Thurnher in einzelne Themenblöcke. Es beginnt mit dem „Schock im Oktober“, und im Anschluß wird reflektiert, was Thurnher „Angstlust und Wendewunsch“ nennt: „Auch die Öffentlichkeit schwankte. Zuvor hatte sie sich für die Wende stark gemacht, nun bekam sie Angst vor der eigenen Courage.“ Thurnher lässt die lange Zeit der sogenannten Sondierungsgespräche ausführlich Revue passieren, nicht ohne anzumerken, wie seltsam die Wortwahl ist: „Eine Sonde beispielsweise ist ein medizinisches Gerät zum Erkunden der Tiefe einer Wunde. (…) Österreichs politische Wunden brauchen nicht erkundet zu werden, Art und Tiefe sind bekannt; man kann allerdings in ihnen wühlen.“ Es folgen Gedanken zu den Sanktionen und einige grundsätzliche Überlegungen zur Staatengemeinschaft EU: „Daß Österreich – wie jeder Mitgliedstaat – seine Souveränität beim Beitritt teilweise aufgab, erwähnt man hierzulande ungern, daß zwischen sechzig und achtzig Prozent der für Österreich relevanten Rechtsvorschriften in Straßburg und in Brüssel gemacht werden, darüber spricht man nicht.“ Zum Wesen der FPÖ: „Die FPÖ agiert ihrem Wesen nach unwesentlich – sie ist anders, als sie ist.“ Man möchte viel aus dem Buch zitieren, weil es Sachverhalte so klar und pointiert ausdrückt. Eine Stelle noch: „Für Haider ist die Herstellung eines permanenten Erregungszustandes um sich herum wichtig. Er braucht Aufregung, damit er die doppelte Reaktion bekommt, in der er sein provokatives Wesen entfalten kann: die Doppelreaktion aus Beschwichtigung und Hysterie, aus Abkühlung und Aufregung.“
Thurnher kommt auch in Bezug auf die Sanktionen zu seinem Hauptthema, seiner These von einer schlecht ausgebildeten Öffentlichkeit, einem Verhalten, das bestimmt ist durch „niedrige Hemmschwellen, mangelnde Sensibilität, fehlende Tabus“. „Etwas wie die Kronenzeitung würde andernorts gefürchtet, nicht aber ernst genommen – in Österreich ist sie regierungsfähig.“ Dem kann man nichts hinzufügen. Außer: Die Mediaprint muss zerschlagen werden.