#Roman

Herr Leben, die Rechnung bitte!

Sarah Eder

// Rezension von Beatrice Simonsen

Der erste deutsche Web 2.0 Verlag EPIDU funktioniert nach dem Prinzip von „Deutschland sucht den Superstar“. AutorInnen werden vom Lektorat ausgewählt und dann mit Texten online gestellt. Danach bestimmen die LeserInnen, was als Buch erscheinen darf.

Diese Chance bekam die noch sehr junge Autorin Sarah Eder, die die größte Community für sich begeistern konnte. Im Web stellt sie sich flapsig vor mit: Ui. Gut. „Hallo ich bin Sarah“. Weil ich aus Österreich bin muss ich „Hallo ich bin die Sarah“ schreiben, weil das ganz wichtig ist in Österreich. Ich werde bald 25 und verbittert und studiere Linguistik. Ich mag wahnsinnig gerne schöne Sätze, weshalb ich auch gerne lese und mir mit Bleistift die Sätze unterstreiche, …
Sarah präsentiert sich sympathisch, jung und direkt. So ein Typ ist auch Hannah Moll, die Ich-Erzählerin im Roman „Herr Leben, die Rechnung bitte!“. Und was man sogleich assoziiert, nämlich dass Hannah die Rechnung für etwas präsentiert bekommt und zwar vom Leben selbst, das bewahrheitet sich auch. Das Leben, personifiziert von Herrn Leben, dem Therapeuten Hannahs, rechnet ab mit Hannahs traurigem Ich.
Um dieses Ich auf dem Weg zum Glück (oder von Moll zu Dur) geht es auf langen 276 Seiten, begleitet von einigen Nebenfiguren, aber in der Hauptsache in Selbstbetrachtung. Hannah Moll ist Mitte Zwanzig und hat sich verliebt. Sie nimmt uns mit auf Parties und in Bars und führt uns vor, wie junge Frauen sich wahrnehmen, wenn sie ausgehen. Die Accessoires sind zeitgemäß, das Gefühl dagegen zeitlos. Sarah Eders Stärke zeigt sich schnell darin, die Gefühle bis ins Detail flott und witzig zu beschreiben und intelligent zu analysieren. Immer steht Hannah flapsig (was so viel wie „frech“ und „tollpatschig“ heißt) neben Hannah und schaut sich zu, was sie macht und was sie dabei fühlt und warum und was dabei herauskommt. Es kommen allerlei gefühlsmäßige Verwicklungen heraus, wie das in dem Alter Mitte Zwanzig so ist, aber der Unterschied zu anderen Mitte-Zwanzigjährigen liegt bei Hannah darin, dass sie sich therapieren lässt, weil sie der Sache mit sich selbst auf die Sprünge helfen will.

Hannah hat sich also in Felix verliebt, aber Felix verschwindet nach einer scheinbar perfekten Zeit nach Portugal mit dem Hinweis „Ich kann nicht“. Für Hannah ist das dramatisch, da sie doch an die echte Liebe glaubte. Wie kommt sie darüber hinweg und überhaupt, will sie darüber hinwegkommen? Freunde sind in einer solchen Situation natürlich hilfreich. Ihre WG-Mitbewohnerin und Langzeitfreundin Anna hält als Ausgeh-, Fernseh-und Ausweinfreundin her, tut sich aber endlich mit Langzeitfreund Molo zusammen, weshalb Hannah allein zurückbleibt. Auch Leo, Hannahs erste Liebe, ist ein Trostspender, aber mehr leider nicht. Als dann Herr Leben, Hannahs neuer Therapeut, auf den Plan tritt, ist Hannah reif für die Entscheidung, ihr Leben zu ändern. Wie kommt sie aus dem Liebeskummer nur heraus und aus diesem Gefühl der Unfähigkeit? Herr Leben hat eine besondere Art der Therapie: Hannah soll ihm Emails schicken, in denen sie über Wut, Angst, Glück und darüber, was das Leben lebenswert macht, reflektieren soll. Diesem Umstand zufolge lesen wir nun doppelt, was Hannah denkt, erlebt und fühlt, was den Roman etwas langatmig macht. Aber umso besser verstehen wir, worin Hannahs Fehler liegen und was sie ändern muss. Fast mutiert der Roman nun zum Lebensratgeber für junge Menschen. Liebeskummer? Selbstzweifel? Lebensüberdruss? Herr Leben sagt uns, wie es geht, das alles zu überwinden.

Die Epidu-Community hat ganz offenbar für „das Leben“ gevotet, für das Leben, wie es für junge Menschen im Normalfall eben so spielt. Und da liest man gerne, wie auch andere Menschen leiden, andere Liebeskummer haben und nicht ein noch aus wissen, wie man den wieder los wird. Hannah ist diese ganz normale junge Frau, die nette Eltern hat und liebevolle Freunde, die Studentin in einer größeren Kleinstadt ist, mit einem kleinen Job und eigentlich kleinen Problemen. Sie regt sich darüber auf, dass sich die Menschen auf der Straße zu langsam bewegen oder dass man bei Ikea alles nur in Großpackungen bekommt. Etwas zu lange und ausführlich verzettelt sich Sarah Eder mit Details von Hannahs Gewohnheiten und ihrer Kritik am Zeitgeist, die sich sogar fast wörtlich wiederholt (z.B. S.117 und S.160). Auch dass sich gegen Ende des Romans immer mehr Fehler einschleichen (Beistriche, Buchstaben und Worte fehlen), deutet darauf hin, dass man kürzen hätte müssen, um liebevoller bei der Sache zu bleiben.
Insofern hätte Sarah Eder bei ihrem Debut mehr Hilfe von Seiten des Verlags gut getan, hat sie doch selbst so liebevoll ihr Spiel eröffnet. Im ersten Kapitel „Vor-Hang“ (siehe Leseprobe) kündigt sie an, was uns erwartet. Auch hier ist es wie bei „Deutschland sucht den Superstar“. Wir sehen zu, wie Sarah Eder die Figuren vor den Vorhang schiebt und auf einem Schachbrett positioniert. Und dann passiert es: die Figuren rennen einfach los – von wegen Regeln! Hannah Moll steht auf der Bühne und weiß nicht, ob sie Bauer oder Dame ist. Die Jury namens Felix meint, es reiche nicht, die Nacktheit war nicht überzeugend genug. Überwältigende Gefühle lassen die Dame, die ein Bauer ist, taumeln. Und alle schauen zu. Jetzt erst gebietet die Autorin dem Chaos mit der Königsfigur Einhalt: Herr Leben kommt ins Spiel und setzt die Dame Schach, solange sie sich wie ein Bauer benimmt.
Wirklich gelungen ist der Autorin, die Welt von heute hautnah zu schildern, mit der Hauptsache Liebe und den Nebengräuschen der studentischen Ausgeh-und Internet Community. Sie amüsiert mit witzigem Ton und originellem Stil, wobei ihr (Hannah und der Autorin) das sprachwissenschaftliche Studium zugute kommt, mit dem sie der Sprache immer wieder auf den Grund geht. Hannah ist die perfekte Identifikationsfigur für junge Menschen und sie hat ein großes Plus, denn sie kennt den Weg zum Glück.

Sarah Eder Herr Leben, die Rechnung bitte!
Roman.
Aachen: EPIDU Verlag, 2011.
276 S.; brosch.
ISBN 978-3-942584-02-9.

Rezension vom 12.10.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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