Man schlägt das 80 Seiten Buch auf, stößt auf schütter bedruckte Seiten und zieht noch keine vorschnellen Schlüsse, denn Ritter-Literatur hat’s gemeinhin in sich. Man pirscht sich also an die Miniaturen an und ist auf allerlei Textfallen gefasst, man blinzelt zweimal und merkt, da ist keine Schleichlektüre von Nöten, das geht auch husch-husch. Diese Prosaminiaturen könnten auch im Chronikteil einer guten Tageszeitung stehen. Gut, Österreich hat keine guten Tageszeitungen, stimmt, aber: Ist diese Prosa besonders originell, besonders böse, etwas Besonderes? Zum Teil, ja. Was macht den Unterschied zu einem Chronikteil aus? Der persönliche Bezug den der Erzähler immer wieder herstellt und hervorhebt. Interessant. Ja, eh. Aber in dieser Konzentration auch wieder redundant. Und sprachlich sind die Texte zwar klar, kurz und treffend aber halt auch nicht mehr, nichts Außergewöhnliches, schlicht zweckdienlich.
Freilich, das Zusammentragen dieser Geschichten ist Kunst, ich versteh schon, die Konzentration dieser Geschichten. Dennoch: richtig befriedigend ist die Lektüre dieses schmalen Bändchens nicht. Man ist schnell durch, vergisst vielleicht einiges nicht so schnell, vielleicht, das kann ich noch nicht beurteilen. Oft glaubt man die Personen, die Figuren, Typen zu kennen, die Klischees, damit operiert der Autor.
Diese Miniaturen sind keine „urbanen Legenden“ aber so etwas Ähnliches. Geschichten, die man über Ecken erzählt bekommt, in unterschiedlichen Versionen. Ein Storysammelsurium. Gelegentlich gelingt die überraschende Wende am Ende, leider nicht immer.
Freilich könnte man den Texten mehr Bedeutung geben, sie als typisch für unsere Gesellschaft, als repräsentativen Querschnitt und Geschichte-Status-Quo betrachten, aber dafür sind sie mir einfach zu leichtfüßig, leichtgewichtig. Da ist keine Barriere und das Dahinter gibt bei weitem nicht so viel her, wie vielleicht intendiert. Zum Beispiel die mit „der meister“ betitelte Geschichte auf Seite 56:
der grafiker, der seit jahren regelmäßig kokain in hohen dosen konsumierte, und der langsam aber sicher begonnen hatte, seine persönlichkeit zu verändern, befasste sich nun schon seit neun monaten als anhänger der sogenannten holosophischen gesellschaft, intensiv, wie er sagte, mit meditation und gelebter spiritualität.
Dieser tage kündigte er kurzerhand seinen job bei einer bekannten österreichischen werbeagentur, um sich auf den weg nach laos zu machen. Das unheil auf der welt hätte ein ende, davon war er überzeugt, denn er sei der kommende meister, daran bestand für ihn nicht der geringste zweifel.
Nun ja. Wenn das aus Medienberichterstattungen bekannte Bild zurechtgerückt oder aus einem anderen Blickwinkel betrachtet wird, dann gehen die Geschichten tiefer. Wenn man nicht recht weiß, ob das nun wahr oder gut erfunden ist, dann funktionieren sie. Die gut recherchierten Österreich-Sumpf-Strukturen-Aufdeckungen zum Beispiel, die haben Qualität (Parlament S. 58, Gruppenselbsttötung S. 65).
Insgesamt aber ist das Buch gar nicht so böse wie es tut, eher aufklärerisch. „Hinter der Barriere“ enthält Unerhörtheiten der Kategorie „Skurrile Begebenheit“, Enthüllungsliteratur in Ansätzen, Aufdeckungsprosa in Anklängen. Zu wenig um gänzlich befriedigt, zu viel um enttäuscht zu sein. Eine zwiespältige Leseerfahrung, die nicht uninteressant ist, von der man sich aber dennoch nicht zu viel erwarten sollte.