Im Zentrum steht die weibliche Stimme und diese nimmt vielerlei Formen an. So wird Stimme als Objekt beschrieben, das eine Oberfläche und Kontur hat, die sich nahezu angreifen lässt: „ach / wie famos du mit dem kristall / deiner koloraturen spielst“ (Pretty Yende). Sie kann zum Käfig werden: „unterwegs im klingenden käfig“ (Amy Winehouse) oder zur Befreiung:
„[…] die perfektion
deiner wandlungsfähigen stimme
die dich aus dem raster der rassen
crossover in den mainstream
für allzu kurze zeit jazzt […]“
(Dinah Washington)
Vermittelte Leichtigkeit des Gesanges ist ein Faszinosum, welches in den Gedichten immer wieder thematisiert wird: „verblüffend leicht / phrasiert dein jazz auch pop“ (ZAZ), „verwurzelt tönst unbeschwert du / dich davon“ (Nikki Yanofsky), „wie leicht sich alles anhört für unsre ohren“ (Sarah Vaughan). Das Besondere am Singen ist, dass zur Klangerzeugung eben kein Instrument verwendet wird, sondern der menschliche Körper selbst zum Instrument wird: „in die arbeit verbissen / machst du dich zum instrument“ (Caterina Valente). Die menschliche Stimme wird uns in den Gedichten als ein Kunstwerk gezeigt, momenthaft und bleibend zugleich. Denn in den Gedichten werden sowohl lebende als auch verstorbene Sängerinnen besungen. Die menschliche Stimme wird damit als etwas zutiefst Individuelles, Einzigartiges erfahrbar, das untrennbar mit einer einzelnen Person verbunden ist, trotzdem aber dank Tonaufzeichnungen eigene Wege einschlagen kann, auch nach dem Tod der Sängerin noch:
„doch du verweigerst dich
all diesem scheiß bleibst lieber wenig
bekannt im hintergrund und erst
posthum glänzt schüchtern ruhm dir“
(Eva Cassidy)
Die Stimme wird in den Gedichten als etwas Lebendiges erfahrbar, das sich entwickelt, entfaltet, verändert und dabei auch altert:
„noch heute leuchtet deine stimme erinnert
präzis gespeicherte essenzen ihrer sommer
jederzeit abrufbar die archive deiner rollen
obwohl fünfzig jahre vergingen der herbst
erste reflexe in sie hineinrunzelt weißt du
immer noch töne mit hochglanz zu brillieren“
(Edita Gruberová)
Betrachtet man Stimme als etwas Lebendiges, sind Pflanzenmetaphern naheliegend und so wird in den Gedichten auch die Luft festgehalten „bis die tonsaaten aufkeimen“ (Sade) oder der Wunsch geäußert, Blumen von Stimmbändern zu pflücken:
„gelbe narzissen und plötzlich die lust
blumen von stimmbändern zu pflücken
auch schwarze orchideen wächst zeitlos
du mit der elektrizität des augenblicks
aus dem beat der vergangenheit“
(Malia)
„Vergangenheit“ ist ein weiteres Schlagwort für die Gedichte. Denn immer wieder geht es auch um das Repertoire der Sängerinnen und damit um die Frage der Bezugnahme auf Vorgängerinnen, Traditionen und wie man daraus Neues und Eigenes schaffen kann. In diesem Sinne fungiert die Stimme durchaus als Zeitmaschine:
„brücken schlagen über die zeit
mit deiner stimme hin und her
reisen in alten hadern neuaktuell
auch durch längst vergessene lieder
und komponierend dir eigenes entwickeln“
(Cécile McLorin Salvant)
Mit ihren Gedichten zeigt Monika Vasik auf, wie man als Dichterin Verantwortung übernehmen und seine Stimme auf seine ganz eigene Art und Weise erheben kann. Einen ganzen Gedichtband starken Frauenstimmen zu widmen, ist an sich schon eine politische Stellungnahme. Aber auch die Auswahl der Sängerinnen lässt sich als politisches Statement lesen. Denn immer wieder wird in den Gedichten singen als ein dezidiert politischer Akt gezeigt:
„schickst unbeugbar deine stimme ins exil
als akt des widerstands die nur übers internet
und auf kopierten tonträgern ihren weg zurück
in dein land findet denn unfrei zu singen
bedeutet nicht atmen zu dürfen nicht
frei sein zu hoffen zu sehnen zu lieben“
(Mahsa Vahdat)
Monika Vasik lässt sich von der Poesie der Musik in die Welt hinaus tragen. Denn die Sängerinnen stammen aus der ganzen Welt und singen damit auch in zahlreichen Sprachen. Das stellt jedoch überhaupt kein Problem dar, denn eine Besonderheit von Musik ist es eben, dass sie eine eigene Sprache für sich ist, also über unterschiedliche (Landes-)Sprachen hinweg auch ohne Worte verstanden werden kann:
„[…] aus den tiefen deiner verrauchten lungen
hebst du ohne sichtbare emotion als süße
schwermut an deine lippen die schwelende
trauer der morna von der wir kein wort
verstehen die strömung der sinne bloß spüren
in den gleitenden glissandi deines alts“
(Cesária Évora)
Und mit der Frage des Verständnisses von Musik sind wir bei den Zuhörern gelandet. Denn Musik berührt, wirkt auf uns ein und macht etwas mit uns, wenn wir ihr zuhören:
„[…] das versiegen des
denkens wir werfen für ein paar augenblicke alle
lasten ab und uns in einen tanz voller freuden
der sich nach warmweicher haut sehnt dem erotischen
duft eines du statt dem gewicht unserer tagesklötze“
(Astrud Gilberto)
Fünf Jahre schrieb Monika Vasik an diesem Gedichtband. Das zeugt von einer tiefgreifenden Faszination. Ich bin daher schon neugierig, ob das Projekt Musik und Frauenstimmen in Sprache zu fassen mit Erscheinen des Bandes für sie nun abgeschlossen ist, oder ob das Thema sie auch weiterhin in ihrem Schreiben begleiten wird.